Die bisherige Übergangsvorschrift des § 60 RVG, insb. § 60 Abs. 1 S. 2 RVG, ist in der Vergangenheit häufig kritisiert worden. Sie hat zu einer Ungleichbehandlung von Rechtsanwälten geführt, die bereits in der Vorinstanz tätig waren, gegenüber denjenigen Anwälten, die erstmalig für das Rechtsmittelverfahren beauftragt worden sind. In diesen Fallgestaltungen kam es abweichend von dem in § 60 Abs. 1 S. 1 RVG normierten Grundsatz, dass der Zeitpunkt der Auftragserteilung maßgebend ist, zu nicht verständlichen Ergebnissen.
Die im KostRÄG 2021 vorgenommene Neuregelung des § 60 RVG soll einfacher umsetzbar sein und vermeiden, dass für die Vergütung eines Rechtsanwalts gespaltenes Vergütungsrecht gilt. Über diese Neuregelung hat N. Schneider in ZAP 1/2021 F. 24, S. 1782 ff. ausführlich berichtet, sodass hier nur auf einige Eckpunkte verwiesen wird. Das neue Übergangsrecht knüpft an folgende Fallgestaltungen an.
1. Grundsatz: Zeitpunkt der Auftragserteilung maßgeblich
Gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ist für die Vergütung das bisherige Recht anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden ist. Ist der Auftrag somit nach dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden, ist das neue Vergütungsrecht anwendbar. Diese Regelung gilt auch für den Fall, dass der bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt in einem Auftragsverhältnis zu seinem Mandanten steht.
2. Bestellter oder beigeordneter Rechtsanwalt ohne Auftrag
Ist dem Rechtsanwalt von seinem Mandanten, dem er beigeordnet oder für den er bestellt worden ist, kein Auftrag erteilt worden und erhält er eine Vergütung nach § 45 RVG oder nach § 45 i.V.m. § 59a RVG aus der Staatskasse, so ist für diese Vergütung in derselben Angelegenheit gem. § 60 Abs. 1 S. 2 RVG bisheriges Recht anzuwenden, wenn der Rechtsanwalt eine Gebühr aus der Staatskasse verlangen kann, die vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung entstanden ist. Im Anwendungsbereich dieser Vorschrift wird somit auf den Zeitpunkt abgestellt, zu dem die erste Gebühr, auf die der bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt einen Anspruch gegen die Staatskasse hat, entstanden ist. Sind in derselben Angelegenheit nach der Gesetzesänderung weitere Gebühren entstanden, ist gleichwohl für die gesamte Vergütung das bisherige Gebührenrecht anwendbar.
Beispiel 5:
Der Rechtsanwalt wird in einem Strafverfahren nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung bestellt. Er hat sich erstmalig in den Rechtsfall vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung eingearbeitet. Nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung hat er das Geschäft betrieben und hat mehrere Verhandlungstermine wahrgenommen. Von dem Angeklagten, für den er gerichtlich beigeordnet worden ist, hat der Rechtsanwalt keinen Auftrag erhalten.
Der gesamte Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers regelt sich nach bisherigem Recht. Zwar ist der Anwalt nach dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung beigeordnet worden. Wegen der in § 48 Abs. 6 S. 1 RVG angeordneten Rückwirkung erstreckt sich die Bestellung auch auf die Tätigkeiten, die der Anwalt vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung entfaltet hat. Das war hier die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung. Somit bestimmt sich der gesamte Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers aus der Staatskasse nach bisherigem Recht.
3. Bestellter oder beigeordneter Rechtsanwalt mit Auftrag
War der Rechtsanwalt vor seiner Beiordnung oder Bestellung vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung beauftragt, sodass nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG das bisherige Recht anzuwenden ist, so bestimmt sich auch die in derselben Angelegenheit aus der Staatskasse zu beanspruchende Vergütung nach bisherigem Recht. Somit kommt es in dieser Fallgestaltung weder auf den Zeitpunkt der Beiordnung oder Bestellung noch auf den Zeitpunkt an, zu dem der Rechtsanwalt die erste Gebühr beanspruchen kann. Auch auf die Rückwirkung nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG kommt es in dieser Fallgestaltung nicht an.
Beispiel 6:
Der Angeschuldigte hat den Rechtsanwalt vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung zum Wahlverteidiger bestellt. Nach der Gesetzesänderung bestellt das Gericht den Anwalt zum Pflichtverteidiger. Hieraufhin arbeitet sich der Rechtsanwalt erstmalig in den Rechtsfall ein, betreibt für den Angeschuldigten das Mandat und nimmt an mehreren Hauptverhandlungsterminen teil.
Der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse richtet sich trotz der nach der Gesetzesänderung erfolgten Bestellung zum Pflichtverteidiger nach dem bisherigen Recht. Maßgeblich insoweit ist der vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung erteilte Auftrag des Mandanten.