Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 8.2.2022 – VI ZR 3/21, NJW 2022, 1526 m. Anm. Eichelberger) beleuchtet exemplarisch die Bedeutung der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht geregelten Haftungsbeschränkungen des Unternehmers (§ 104 SGB VII) und anderer im Betrieb tätiger Personen (§ 105 SGB VII).
Haftungsprivilegiert nach § 105 Abs. 1 SGB VII sind einmal Beschäftigte des Betriebs (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII), aber auch Personen, die wie nach Abs. 1 Nr. 1 der Norm Versicherte tätig werden (sog. Wie-Beschäftigte, § 2 Abs. 2 SGB VII). Das gesetzliche Haftungsprivileg des Unternehmers greift nur dann nicht ein, wenn dieser den Versicherungsfall vorsätzlich (der Vorsatz des Schädigers muss sowohl die Verletzungshandlung als auch den Verletzungserfolg umfassen) oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nrn. 1–4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt hat.
Die Vorschriften werden allgemein als verfassungsgemäß angesehen, unabhängig davon, ob die Leistungen der Unfallversicherung den Personenschaden in jeder Hinsicht kompensieren (s. etwa auch BAG, Urt. v. 28.11.2019 – 8 AZR 35/19, NZA 2020, 745, Rn 23 und 25 m.w.N.).
In dem vom BGH entschiedenen Fall begehrte die Klägerin die Zahlung von Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB wegen eines tödlichen Arbeitsunfalls ihrer Schwiegertochter.
Hinweis:
Abs. 3 des § 844 BGB wurde erst durch Gesetz vom 17.7.2017 (BGBl I S. 2421) eingeführt und ist anwendbar, wenn die zum Tode führende Verletzung nach dem 22.7.2017 eingetreten ist (Art. 229 § 43 Nr. 1 EGBGB). Die neue Vorschrift bestimmt, dass Ersatzpflichtige solchen Hinterbliebenen, die zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, für das den Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten haben.
Am Unfalltag halfen die Verstorbene und ihr Ehemann, dem Beklagten zu 1 als Fahrer des bei der Beklagten zu 2 versicherten Traktors in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb bei der Errichtung eines Weidezauns. Die Verstorbene, ihr Ehemann und ihre Schwiegermutter, die Klägerin, betrieben den Hof. Die Klägerin war beinah täglich auf dem Hof und half bei den anfallenden Arbeiten, der Haushaltsführung unter Betreuung der Kinder mit. Zwischen ihr und der Verstorbenen bestand ein besonders enges, einer Mutter-Tochter-Beziehung entsprechendes Verhältnis. Im Unfallzeitpunkt war der Beklagte zu 1 damit beschäftigt, mit einer an seinem Traktor befestigten Schaufel Pfähle ins Erdreich zu versenken. Die Verstorbene half ihm dabei. Als der Beklagte zu 1 ansetzte, den zweiten Pfahl ins Erdreich zu drücken, löste sich die Greifschaufel des Traktors aus ihrer Verankerung und fiel auf die Schwiegertochter der Klägerin, die aufgrund der hierbei erlittenen Verletzungen verstarb. Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Hinterbliebenengeldes i.H.v. mind. 8.000 EUR nebst Nebenkosten in Anspruch. Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben. Die vom OLG zugelassene Revision der Beklagten war erfolgreich.
Der BGH sieht den Anwendungsbereich der §§ 104,105 SGB VII grds. als eröffnet an. Die Verstorbene war am Unfalltag als „Wie-Beschäftigte” (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII) für den landwirtschaftlichen Betrieb tätig. Ein gesetzlicher Ausnahmetatbestand (vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls bzw. Eintritt des Versicherungsfalles auf einem versicherten Weg) lag hier nicht vor.
Zudem hatte die landwirtschaftliche BG den Unfall als landwirtschaftlichen Arbeitsunfall der Verstorbenen anerkannt. Gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII sind die Zivilgerichte an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte hinsichtlich der Frage gebunden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Nach Abs. 2 der Vorschrift hat das Gericht, das über Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Art zu entscheiden hat, sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Abs. 1 ergangen ist. Dieser Vorrang der für die Beurteilung sozialrechtlicher Fragen originär zuständigen Stellen gegenüber den Zivil- und Arbeitsgerichten ist von Amts wegen zu berücksichtigen.
Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf die Entscheidung darüber, ob der Verletzte den Unfall als Versicherter aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 S. 1 SGB VII erlitten hat und welchem Betrieb der Unfall zuzurechnen sind. Nicht von der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII wird die Frage erfasst, ob der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt wurde oder sich auf einem nach § 8 Abs. 2 Nrn. 1–4 SGB VII versicherten Weg ereignete (BAG, Urt. v. 28.11.2019, a.a.O., Rn 35).
Mit der Frage, ob die in §§ 104,105 SGB VII angeordnete Haftungsbeschränkung auch Ansprüche auf Hinterbliebenengeld ausschließt, hat sich der BGH bislang nicht befasst. In der Literatur wird die Anwendbarkeit diese...