Das Jobcenter muss gem. § 21 Abs. 6 SGB II einen im Einzelfall bestehenden unabweisbaren Bedarf übernehmen. Ob hierzu auch Fahrtkosten gehören, die durch den Besuch des inhaftierten Lebensgefährten entstehen, hatte das BSG in seinem Urt. v. 26.1.2022 – B 4 AS 3/21 R – zu entscheiden.
Der Lebensgefährte der Leistungen nach dem SGB II beziehenden Klägerin verbüßte eine Strafhaft in einer Justizvollzugsanstalt. Sie besuchte ihn zweimal im Monat. Im Februar 2015 beantragte sie beim Jobcenter die Übernahme der hierdurch entstehenden Fahrtkosten i.H.v. 79,78 EUR. Das Jobcenter lehnte dies ab.
Das BSG entschied, dass der Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II auch Aufwendungen für die Aufrechterhaltung zwischenmenschlicher Kontakte umfasst, selbst wenn die leistungsberechtigte Person mit der inhaftierten Person nicht in einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft i.S.v. § 7 Abs. 3, 3a SGB II lebt, die Beziehung aber vergleichbar eng sei und andere vergleichbare Beziehungen ausschließe.
Unstrittig war, dass die Klägerin erwerbsfähige Leistungsberechtigte i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II ist. Streitig war dagegen, ob die Voraussetzungen des Mehrbedarfszuschlags nach § 21 Abs. 6 SGB II erfüllt waren.
Hinweis:
Nach der hier anzuwendenden Fassung von § 21 Abs. 6 SGB II des Gesetzes vom 13.5.2011 (BGBl I S. 850) erhielten Leistungsberechtigte eine Leistung für Mehrbedarf, soweit sie im Einzelfall einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf haben (S. 1). Gemäß S. 2 ist der Mehrbedarf unabweisbar, wenn er nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparungen der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (S. 2). Mit § 21 Abs. 6 SGB II sollen Leistungen bei atypischen Bedarfslagen ermöglicht werden. Der Gesetzgeber setzte hiermit eine entsprechende Forderung im Urt. des BVerfG v. 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 (BVerfGE 125, 175) um.
Dem unabweisbaren Bedarf unterfallen nach der Rspr. des BVerfG (a.a.O. Rn 135) und des BSG Aufwendungen, die der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums dienen. Hierzu rechnet das BSG auch die Fahrtkosten für die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen (Rn 16 der Gründe). Diese sind nicht nur für die Kontaktpflege mit Menschen zu übernehmen, mit denen die leistungsberechtigte Person in einem durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Verhältnis steht oder das familienrechtlich geregelt ist. Dies begründet das BSG damit, dass die für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichen Mittel allein nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG zu bemessen sind (Rn 16 der Gründe). Allerdings beschränkt das BSG den Personenkreis, bei dem Mittel für die zwischenmenschliche Kontaktpflege bereitgestellt werden müssen, weil § 21 Abs. 6 SGB II einen unabweisbaren Bedarf voraussetze und auch für die Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins nur das unbedingt erforderliche bereitgestellt werden müsse. Hieraus folgerte es, dass ein besonderes Näheverhältnis erforderlich sei, wofür es aber keiner Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft bedürfe. Es müsse indessen ein prioritäres Näheverhältnis bestehen, das ähnlich eng wie eine Einstehens- und Lebensgemeinschaft ist und andere vergleichbare Beziehungen ausschließt (Rn 17 der Gründe).
Voraussetzung der Übernahme ist weiter, dass der Bedarf für die Pflege zwischenmenschlicher Kontaktpflege nicht anderweitig gedeckt werden kann, z.B. durch einen Umzug, was bei einer Inhaftierung evident ausscheidet. Die telefonische und schriftliche Kontaktpflege, wie der Beklagte im entschiedenen Fall meint, hielt das BSG nicht für ausreichend (Rn 18 der Gründe).
Der Umfang der Leistung richtet sich danach, wie oft sich Menschen mit geringen finanziellen Mitteln in einer vergleichbaren Situation besuchen würden. Zwei Besuche monatlich hielt das BSG für unproblematisch. Zu übernehmen sind nur die unabweisbar erforderlichen, d.h. die Fahrkosten in der kostengünstigsten Variante (so schon BSG, Urt. v. 11.2.2015 – B 4 AS 27/14 R Rn 24). Dies ist im Einzelfall unter Berücksichtigung von Haftdauer, Alter, Vollzugsart, der Möglichkeit der Verlegung in eine näher gelegene JVA und Mitfahrmöglichkeiten zu entscheiden (Rn 21 der Gründe).
Weiter ist der Leistungsumfang dadurch begrenzt, dass nur erhebliche Aufwendungen zu übernehmen sind. Abzuziehen ist zunächst die im Regelbedarf eingerechnete Pauschale für Verkehr (so schon BSG, Urt. v. 28.11.2018 – B 14 AS 48/17 R Rn 14). Im Jahr 2015 waren dies 25,12 EUR. Ob der danach verbleibende Rest erheblich ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Die danach verbleibenden 54,66 EUR entsprechen knapp 14 % des Regelbedarfs und sind damit nach den Ausführungen des BSG erheblich (Rn 24 der Gründe).
Da das BSG nicht abschließend entscheiden konnte, weil der vorgelegte Sachverhalt keine ausreichenden Angaben zum Vorliegen eines Näheverhältnisses der oben beschriebenen Art enthielt, verwies es das Verfahren an das LSG zurück. Das LSG mu...