Nach § 4 Abs. 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (RBeitrStV) sind Bezieher bestimmter Sozialleistungen von der Verpflichtung zur Zahlung eines Rundfunkbeitrags befreit. Nach § 4 Abs. 6 S. 1 RBeitrStV muss von der Rundfunkbeitragsgebührenpflicht außerdem in besonderen Härtefällen aufgrund gesonderten Antrags befreit werden. Von einem solchen Härtefall wird in § 4 Abs. 6 RBeitrStV ausgegangen, wenn der Bedarf bei den Sozialleistungen nach § 4 Abs. 1 RBeitrStV durch Einkommen des Beitragspflichtigen zwar gedeckt ist, das den Bedarf übersteigende Einkommen aber weniger als der Rundfunkbeitrag beträgt. Ob zusätzlich Menschen bei verdeckter Armut – diese beziehen zwar keine Transferleistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII, ihr Einkommen beträgt aber weniger als der nach diesen Gesetzen maßgebliche Bedarf – vom Rundfunkbeitrag zu befreien sind, hatte das BVerfG in seinem Beschl. v. 19.1.2022 – 1 BvR 1098/18 – zu klären.
Die alleinerziehende Beschwerdeführerin war zunächst wegen des Bezugs von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bzw. von Arbeitslosengeld II von der Rundfunkbeitragspflicht befreit. Nach Wiederaufnahme des Studiums im Jahr 2013 erhielt sie von der Darlehenskasse der Studentenwerke im Land Nordrhein-Westfalen e.V. einen Studienkredit. Außerdem bezog sie Wohngeld und für ihren minderjährigen Sohn Unterhalt. Die ihr zur Verfügung stehenden Mittel betrugen dennoch nach Abzug der Krankenversicherungsbeiträge und der Miete weniger als der Regelsatz nach dem SGB II und dem SGB XII. Nach Auslaufen des Studienkredits erhielt sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen Vorliegens einer besonderen Härte nach § 7 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 27 Abs. 4 S. 1 SGB III i.d. bis zum 31.7.2016 gültigen Fassung und wurde seitdem wieder von den Rundfunkgebühren befreit. Ihr Antrag auf Befreiung vom Rundfunkbeitrag während der Zeit des Bezugs des Studienkredits wurde vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) abgelehnt. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Hiergegen richtete sich die Verfassungsbeschwerde. Das VG lehnte das Vorliegen einer besonderen Härte ab. Dies begründete es damit, dass die Klägerin die vorrangigen Härtefallleistungen gem. § 7 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 27 Abs. 4 S. 1 SGB III i.d. der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung hätte in Anspruch nehmen müssen. Das OVG lehnte die Zulassung der Berufung und die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe ab. Auch verneinte es das Vorliegen einer besonderen Härte.
Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben. In seiner Begründung verwies es auf seinem Beschl. v. 30.11.2011 – 1 BvR 3269/08. Wiederum ging es zwar von der Verfassungsmäßigkeit des RBeitrStV aus. Die Härtefallklausel ermögliche eine den Vorgaben des Grundgesetzes entsprechende die Verschonung des unter dem Existenzminimum liegenden Einkommens verschonende Befreiung von den Rundfunkbeiträgen (Rn 16 der Gründe). Allerdings ist nach den Ausführungen des BVerfG die restriktive Auslegung des Begriffs „Härte” in § 4 Abs. 6 RBeitrStV durch die Rundfunkanstalten mit der verfassungsrechtlichen Rspr. zu Art. 3 GG und zum Schutz des Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) nicht zu vereinbaren. Aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG folgert das BVerfG, dass ein maximal den Bedarf nach dem SGB II oder dem SGB XII betragendes Einkommen nicht für Rundfunkbeiträge eingesetzt werden muss. Dies dient dem Schutz eines menschenwürdigen Lebens einschließlich der Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (Rn 20 der Gründe). Gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt nach der Begründung des BVerfG, dass ein Personenkreis gleichheitswidrig eine Begünstigung nicht erhalte (Rn 21 der Gründe; s. insoweit auch BVerfGE 110, 412 [431]; 121, 108 [119]). Die Entscheidungen des WDR und des VG waren bereits deshalb fehlerhaft, weil das Einkommen der Beschwerdeführerin nicht geprüft wurde, obwohl nach deren Vortrag und den von ihr vorgelegten Unterlagen nicht auszuschließen war, dass ihr Einkommen unterhalb des Existenzminimums lag (Rn 22 der Gründe). Hierdurch wird sie ohne ersichtlichen sachlichen Grund gegenüber Personen, die existenzsichernde Leistungen beziehen schlechter gestellt. Allein Gründe der Verwaltungspraktikabilität hielt es nur für ausreichend, wenn „Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, sie lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen beträfen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv wäre” (Rn 24 der Gründe).
Diese Anforderungen waren im entschiedenen Fall indessen nicht erfüllt. Die Beschwerdeführerin muss deshalb vom Rundfunkbeitrag befreit werden.
Hinweis:
Siehe zu dem Beschluss des BVerfG auch die zustimmende Besprechung von Lorenz in: jurisPR-ITR 14/2022 Anm. 6.