1. Übernahme der Verpflegungskosten der Kinder durch das Jobcenter bei einer Weiterbildungsmaßnahme nach dem SGB II
Erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen, die an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung teilnehmen, erhalten gem. § 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Alt. 1 SGB II i.V.m. §§ 83 Abs. 1 Nr. 4 und 87 SGB III einen monatlichen Zuschlag (ab 1.1.2022 160 EUR) für die Betreuung jedes aufsichtsbedürftigen Kindes. Das BSG hatte in seinem Urt. v. 14.12.2021 – B 14 AS 61/20 R – zu entscheiden, ob hierzu auch die Verpflegungskosten der eine Kindertagesstätte besuchenden Kinder der leistungsberechtigten Person gehören.
Die Klägerin nahm an einer nach dem SGB II geförderten Maßnahme der beruflichen Weiterbildung teil. Ihre beiden Kinder besuchten eine Kindertagesstätte. Der Besuch der Kindertagesstätte war aufgrund der in Berlin geltenden Regelungen kostenfrei. Die Klägerin musste lediglich je Kind 23 EUR im Monat und zusätzlich für die „restliche Vollverpflegung” 12 EUR (ab 1.1.2015 17 EUR) zahlen. Das Jobcenter lehnte die Übernahme dieser Kosten ab. Ein Überprüfungs- bzw. Zugunstenantrags nach § 44 Abs. 1 SGB X, – s. hierzu auch unten V. 5. – und Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.
Das BSG entschied, dass durch die Weiterbildungsmaßnahme entstehende Betreuungskosten zu den Weiterbildungskosten gehören, wenn die Betreuung und Beaufsichtigung der Kinder wegen der Weiterbildungsmaßnahme erforderlich sind. Zu den Kinderbetreuungskosten rechnete es auch die Verpflegung der Kinder.
Die Agentur für Arbeit bzw. der zugelassene kommunale Träger kann gem. § 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Hs. 1 SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung vom 13.3.2013 (BGBl I S. 446) u.a. Leistungen zur beruflichen Weiterbildung nach den §§ 81 ff. SGB III gewähren. Wird das in § 16 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass eine der in Bezug genommenen Leistungen erbracht wird, sind deren Regelungen sowohl bzgl. des Verpflichtungsgrades als auch des Leistungsumfangs maßgeblich. Dies folgt nach der Begründung des BSG daraus, dass es sich bei § 16 Abs. 1 S. 2 SGB II um eine Rechtsgrundverweisung handelt, wie der klarstellende § 16 Abs. 2 S. 1 SGB II (BT-Drucks 15/2997, 24) zeige (Rn 15 der Gründe).
Hinweis:
Dieses Ergebnis bekräftigte das BSG in seinem Urt. v. 9.3.2022 – B 7/14 AS 31/21 R. In dem entschiedenen Fall sprach es die Zahlung einer Weiterbildungsprämie für das Bestehen einer fachtheoretischen Prüfung i.R.d. Berufsbildung zum Erzieher nach § 131b SGB III zu. Weil der SGB-II-Träger sein Ermessen nach § 16 Abs. 2 S. 2 SGB II dahingehend ausgeübt hatte, dass Leistungen nach § 16 Abs. 1 S. 2 SGB II, also u.a. nach § 131b SGB III erbracht werden, richteten sich die Voraussetzungen, der Verpflichtungsgrad und der Inhalt der Leistung nach letzterer Vorschrift. Der SGB-II-Träger hatte insoweit kein Ermessen.
Es musste damit geprüft werden, ob die §§ 83, 87 SGB III die Gewährung der Kinderbetreuungskosten in das Ermessen der Agentur für Arbeit stellen und in welcher Höhe die Leistung zu gewähren ist.
Bezüglich des Verpflichtungsgrades der Übernahme der Kinderbetreuungskosten nach § 87 SGB III gelangte das BSG zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei um eine Pflichtleistung handelt. Trotz der Verwendung von „kann” in § 87 SGB III ging das BSG davon aus, dass hiermit kein Entschließungsermessen eingeräumt wird. Dies folgerte es mit der h.L. (z.B. Hassel in: Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 87 Rn 2a) aus dem systematischen Zusammenhang mit § 83 SGB III. Nach dieser Vorschrift sind die unmittelbar mit der Weiterbildungsmaßnahme entstehenden Kosten zu übernehmen.
Anders als das LSG rechnete das BSG die Kinderbetreuungskosten zu den unmittelbar mit der Weiterbildung entstehenden Kosten (Rn 17 der Gründe). Der Differenzierung des LSG zwischen Kosten der Betreuung der Kinder und den sonstigen Kosten wie der Verpflegung folgte das BSG nicht. Hierfür fehle eine gesetzliche Grundlage. Aus der Gesetzeshistorie und aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift folge, dass eine Kausalität i.S. einer „conditio sine qua non” nicht erforderlich sei (so auch die h.L., z.B. Reichel in: jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, § 87 Rn 17; a.A. Burkiczak in: Schönefelder u.a., SGB III, 3. Aufl. 2021, § 87 Rn 8). Ausreichend sei, dass „die Teilnahme an der Maßnahme ohne die Betreuung der Kinder nicht möglich” sei (Rn 19 ff. der Gründe).
Der Übernahme der Verpflegungskosten steht nach den Ausführungen des BSG auch nicht entgegen, dass bei SGB-II-Bezug die Regelleistung Anteile für die Ernährung enthält oder die Kosten der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung nach § 28 Abs. 6 SGB II übernommen werden. § 16 Abs. 1 SGB II verweise uneingeschränkt auf die §§ 81 ff. SGB III. Dort werde die Übernahme der Betreuungskosten nicht von der Leistungsfähigkeit der Maßnahmeteilnehmer abhängig gemacht. Im Übrigen hätten die Leistungen nach § 16 SGB II Vorrang gegenüber den passiven Leistungen wie etwa der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung nach § 28 Abs. 6 SGB II (Rn 24 der Gründe).
Zu übernehmen sind nach der Entscheidung des BSG allerdings nur die