Zusammenfassung
Hinweis:
In den bisherigen zwei Teilen (ZAP 2022, 1175; ZAP 2023, 25) der Beitragsserie stand die Situation des Bauherrn im Fokus, der eine Baugenehmigung beantragen und notfalls einklagen wollte. Die dreiteilige Beitragsserie wird vorliegend mit einem doppelten Perspektivwechsel abgeschlossen. Zunächst bleiben wir noch beim Eigentümer einer baulichen Anlage. Nur sieht sich dieser einer belastenden bauordnungsrechtlichen Verfügung gegenüber, die von ihm verlangt, dass er die laufenden Bauarbeiten einstellt, Nutzungen unterlässt oder gar vorhandene Anlagen abreißt. Zuletzt widmet sich der Beitrag der Situation des Nachbarn, der durch eine bauliche Anlage in seinen eigenen Rechten verletzt werden kann und diese ggf. gerichtlich durchsetzen will.
I. Bauordnungsrechtliche Verfügungen
Bauordnungsrechtliche Verfügungen stellen nachträgliche Möglichkeiten der Bauaufsichtsbehörden dar und sind im Grunde dem Gefahrenabwehrrecht zuzuordnen. Zusammen mit der präventiv wirkenden Baugenehmigung sind sie damit elementare Werkzeuge der Behörde. Bauordnungsverfügungen gelten auch gegenüber Rechtsnachfolgern (vgl. § 58 Abs. 3 der Musterbauordnung (MBO)). Lediglich Zwangsmittelverfügungen müssen ggf. gegenüber dem aktuellen Eigentümer erneut erlassen werden.
Die wichtigsten Bauordnungsverfügungen – Stilllegung, Nutzungsuntersagung und Abrissverfügung – sollen in der Folge schwerpunktmäßig erläutert werden.
1. Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften
Allen drei bauordnungsrechtlichen Verfügungen ist tatbestandlich gemeinsam, dass sie jedenfalls einen Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften verlangen (vgl. §§ 79, 80 MBO). Dabei lassen sich im Grunde zwei Arten von Widersprüchen unterscheiden. Zum einen wird von der sog. formellen Illegalität gesprochen, wenn ein Verstoß gegen landesrechtliches Bauordnungsrecht vorliegt. Dies ist v.a. dann der Fall, wenn für das bauliche Vorhaben trotz bestehender Genehmigungspflichtigkeit keine Baugenehmigung erteilt worden bzw. diese nicht wirksam ist.
Zum anderen wird von einer materiellen Illegalität gesprochen, wenn ein Verstoß gegen das Bauplanungsrecht nach den Vorschriften des BauGB und der BauNVO vorliegt oder ein sonstiger Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Normen, denen ein Bauvorhaben entsprechen muss (z.B. Immissionsschutzrecht, Wasserrecht, Landschaftsschutzrecht).
Für die Annahme eines Widerspruchs zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genügt es, wenn die formelle Illegalität festgestellt werden kann. Ist ein bauliches Vorhaben hingegen baugenehmigungsfrei, so ist der Widerspruch materiell zu begründen. Die Wirkung einer Baugenehmigung, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren ergangen ist, begrenzt sich auf den Prüfungsumfang des Genehmigungsverfahrens, sodass darüber hinaus durchaus ein Widerspruch zu (materiell) öffentlich-rechtlichen Vorschriften festgestellt werden kann.
Beispiel:
Eine wirksame und vollziehbare Baugenehmigung hindert bauaufsichtliche Maßnahmen gegen das Bauvorhaben nur im Umfang der jeweiligen Feststellungswirkung der Baugenehmigung. Aus der Erteilung der Baugenehmigung kann der Bauherr nicht i.S. einer sog. Baufreigabe ableiten, die Bauausführung sei ungeachtet etwaig weiterer erforderlicher Erlaubnisse etc. freigegeben. Fehlen entsprechende weitere Erlaubnisse, kann die Baustelle stillgelegt werden (OVG NRW, Beschl. v. 17.6.2022 – 2 B 218/22, juris).
Ob und in welchem Rahmen in den Fällen, in denen eine formelle Illegalität vorliegt, auch die materielle Illegalität für die Rechtmäßigkeit der Bauordnungsverfügung maßgeblich ist, ist aufgrund der unterschiedlichen Eingriffsschwere nicht einheitlich zu beantworten.
2. Baueinstellung/Stilllegung
Die Stilllegung dient der Sicherung der Ordnungsfunktion des formellen Baurechts (OVG NRW, Urt. v. 16.10.2008 – 7 A 696/07, juris Rn 72). Die Stilllegungsverfügung ist zeitlich betrachtet eine Möglichkeit für die Bauaufsichtsbehörde frühzeitig, gegen baurechtswidrige Vorhaben vorzugehen, die sich noch in der Bau- bzw. Errichtungsphase befinden. Nach § 79 MBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Tatbestandlich genügt das Vorliegen der formellen Illegalität.
Hinweis:
Entscheidend dafür, ob die Voraussetzungen für eine Baueinstellungsverfügung vorliegen, ist, ob die Behörde im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung nach den ihr erkennbaren objektiven Umständen annehmen durfte, dass die von ihr festgestellten Arbeiten die Ausführung eines genehmigungspflichtigen Vorhabens darstellen. Es soll geprüft werden können, ob das Vorhaben mit dem öffentlichen Recht vereinbar ist, bevor ein rechtswidriger Zustand entstanden ist oder sich verfestigt. Der rechtmäßige Erlass einer Baueinstellungsverfügung setzt nur voraus, dass konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es wahrscheinlich machen, dass ein dem öffentlichen Recht widersprechender Zustand geschaffen wird, nicht aber die tatsächliche Bestätigung dieser Vermutung (Bay. VGH, Beschl. v. 26.4.2021 – 1 CS 21.449, juris Rn 12).
Hauptanwendungsfall ist ...