1. Fortgeltung des Titels aus der Zeit der Minderjährigkeit über die Volljährigkeit des Kindes hinaus
Da der Unterhaltsanspruch im Verwandtenunterhalt zeitlich nicht begrenzt ist (OLG Bamberg, Beschl. v. 14.5.2018 – 2 UF 14/18, FamRZ 2019, 30; OLG Celle, Beschl. v. 15.12.2016 – 19 UF 134/16, FamRZ 2017, 2020), beginnt der Unterhaltsanspruch des Kindes mit seiner Geburt und besteht dem Grunde nach lebenslang. Der Anspruch erlischt nicht automatisch bei Volljährigkeit des Kindes; die Anspruchsgrundlage bleibt über den Zeitpunkt der Volljährigkeit hinaus identisch (BGH FamRZ 1984, 682; OLG Köln FamRZ 1995, 308). Daraus folgt, dass der zur Zeit der Minderjährigkeit des Kindes erlangte Titel auch nach Eintritt dessen Volljährigkeit fort gilt (§ 244 FamFG).
Hinweise:
Anders ist dies lediglich dann, wenn der Titel ausdrücklich auf die Zeit bis zur Volljährigkeit des Kindes befristet worden ist, wie dies bei Urkunden des Jugendamtes vielfach der Fall ist.
2. Vollstreckung durch das volljährige Kind aus dem Titel
Hier bedarf es einer näheren Betrachtung des bestehenden Titels.
a) Gesetzliche Vertretung
Handelt es sich um einen Titel, den ein Elternteil als gesetzlicher Vertreter des Kindes erwirkt hat, dann ist Titelinhaber bereits das Kind, das nach Eintritt seiner Volljährigkeit jetzt selbst vollstrecken kann. Denn auch die gesetzliche Vertretung durch den betreuenden Elternteil endet mit der Volljährigkeit des Kindes. Eine Umschreibung des Titels ist nicht erforderlich, da das Kind bereits als Partei des Verfahrens im Rubrum des Titels steht.
b) Verfahrensstandschaft gem. § 1629 Abs. 3 BGB
Wird während der Trennungszeit Kindesunterhalt geltend gemacht, vertritt bei fortbestehender gemeinsamer elterlichen Sorge derjenige Elternteil das Kind, der es in seiner Obhut hat (§ 1629 Abs. 2 S. 2 BGB). Solange die Eltern getrennt leben oder eine Ehesache zwischen ihnen anhängig ist, besteht zudem eine gesetzliche Verfahrensstandschaft für die Geltendmachung des Minderjährigenunterhaltes (§ 1629 Abs. 3 BGB). Dann kann der betreuende Elternteil den Kindesunterhalt nur im eigenen Namen gerichtlich geltend machen, muss also selbst als Antragsteller im Rubrum der Antragsschrift bezeichnet sein (und nicht nur als gesetzlicher Vertreter des Kindes). Der Name des anspruchsberechtigten Kindes taucht dann im Rubrum des Vollstreckungstitels gar nicht auf.
Hinweise:
- Für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe eines in Verfahrensstandschaft nach § 1629 Abs. 3 S. 1 BGB eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens auf Kindesunterhalt ist auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisses des klagenden Elternteils und nicht auf diejenigen des Kindes abzustellen (BGH, Beschl. v. 11.5.2005 – XII ZB 242/03, FamRZ 2005, 1164).
- Tritt während des laufenden Unterhaltsverfahrens zum Kindesunterhalt die Rechtskraft der Scheidung der Ehe der Eltern ein, so beendet dies nicht die Verfahrensstandschaft eines Elternteils nach § 1629 Abs. 3 S. 1 BGB (BGH, Beschl. v. 18.3.2020 – XII ZB 213/19 Rn 12, NJW 2020, 1881).
- Will das volljährige Kind aus einem Titel vollstrecken, den der Elternteil im Wege der Verfahrensstandschaft erlangt hat, muss das Kind eine entsprechende Vollstreckungsklausel beantragen (§§ 95 Abs. 1 S. 1 FamFG, 120 Abs. 1 FamFG, 727 ZPO; Schwonberg in: Eschenbruch/Schürmann, Unterhaltsprozess, 2021, Kap. 2 Rn 528), also den Titel auf sich „umschreiben lassen” (Roßmann in: Eschenbruch/Schürmann, Unterhaltsprozess, 2021, Kap. 3 Rn 215; Büte in: Büte/Poppen/Menne, Unterhaltsrecht, § 1629 BGB Rn 8).
3. Unzulässigkeit der weiteren Vollstreckung durch den Elternteil
Daraus folgt, dass der bisher berechtigte Elternteil nicht mehr zur weiteren Vollstreckung aus dem Titel berechtigt ist. Will sich der Unterhaltspflichtige gegen eine solche unberechtigte Vollstreckung zur Wehr setzen, ist zu differenzieren.
a) Bei Verfahrensstandschaft
Da die Volljährigkeit des Kindes die Verfahrensstandschaft eines Elternteils nach § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB beendet (BGH, Beschl. v. 18.3.2020 – XII ZB 213/19 Rn 6, NJW 2020, 1881), ist der Elternteil aus einem solchen Titel zwar weiterhin – formell – Inhaber des Titels, ist aber nicht mehr berechtigt, aus diesem Titel zu vollstrecken (OLG Hamm FamRZ 1992, 843; OLG Köln FamRZ 1995, 308). Gegen eine solche unzulässige Vollstreckung des Elternteils kann sich der Unterhaltspflichtige mit einem Vollstreckungsgegenantrag nach § 767 ZPO wehren (Schwonberg in: Eschenbruch/Schürmann, Unterhaltsprozess, 2021, Kap. 2 Rn 528 m.w.N.).
b) Bei gesetzlicher Vertretung
Ist der Titel aus der Zeit der Minderjährigkeit während der gesetzlichen Vertretung des Elternteils zustande gekommen, die aufgrund der Volljährigkeit des Kindes ebenfalls beendet worden ist, ist das Kind bereits formell Inhaber des Titels. In diesem Fall kann sich der Unterhaltspflichtige gegen eine unzulässige Vollstreckung des Elternteils durch Erinnerung gem. § 766 BGB wehren (Schwonberg in: Eschenbruch/Schürmann, Unterhaltsprozess, 2021, Kap. 2 Rn 528 m.w.N.).
c) Praktische Bedeutung
Diese Differenzierung ist von großer praktischer Bedeutung, weil für die beiden Rechtsmittel verschiedene Gerichte zuständig sind. Für die Erinnerung ist das Vollstreckungsgericht zuständig, während über den Vollstreckungsgegenantrag das Gericht des ersten Rechtszuges entscheidet.
4. Das Risiko des „eingeschlafenen gerichtlichen Titels”
Da der Titel auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes weiter gilt, besteht ein großes Risiko...