Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II kann (Ermessen) bei Beziehern von Arbeitslosengeld II/Bürgergeld vom Jobcenter ein Darlehen zur Tilgung von Schulden gewährt werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Leistung muss i.d.R. („sollen”) gem. § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II erbracht werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst der Eintritt von Wohnungslosigkeit droht. Das BSG hatte in seinem Urt. v. 13.7.2022 – B 7/14 AS 52/21 R (s. auch Roth, SGb 2023, 193 sowie Becker, jurisPR 24/22 Anm. 1) zu entscheiden, ob der Vorschrift auch Schulden unterfallen, die nicht gegenüber dem Vermieter, sondern gegenüber einem Dritten bestehen, und ob die Leistung beantragt werden muss.
Die ledige und alleinlebende Klägerin bezog bis Januar 2015 Arbeitslosengeld II. Sie erhielt von März 2014 bis zum 10.8.2015 Krankengeld. Ab Februar 2015 beantragte sie zunächst keine Leistungen nach dem SGB II. Am 19.8.2015 drohte ihr Vermieter mit der Kündigung der Wohnung. Gleichentags beantragte die Klägerin Arbeitslosengeld II ab Februar 2015. Dieser Antrag wurde vom Beklagten abgelehnt. Er wies die Klägerin darauf hin, dass ein Darlehen gewährt werden könne, wenn der Verlust der Wohnung drohe. Daraufhin beantragte die Klägerin ein Darlehen für den Zeitraum Februar 2015 bis Mai 2015. Am 6.10.2015 bat der Beklagte um die Mitteilung der konkreten Höhe der Mietschulden und um die Vorlage von Nachweisen. Am 9.10.2015 legte die Klägerin dem Beklagten die Kündigung ihrer Wohnung wegen Mietrückständen von Januar 2015 bis Oktober 2015 i.H.v. 2.295 EUR vor. Der Beklagte forderte die Klägerin im Oktober 2015 und im Dezember 2015 schriftlich zur Mitwirkung auf. Im Januar 2016 teilte eine Mitarbeiterin des Anwalts der Klägerin dem Beklagten mit, dass sie die verbleibenden Mietschulden i.H.v. 1.420 EUR beglichen habe. Die Kündigung des Vermieters sei am 16.10.2015 zurückgenommen worden. Da die Klägerin nun ihr diese Summe schulde, werde der Darlehensantrag aufrechterhalten. Der Beklagte lehnte den Darlehensantrag ab. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg.
Rechtsgrundlage des Darlehens für Mietschulden ist § 22 Abs. 8 SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I, 453).
Strittig war im entschiedenen Fall insb., ob die Leistung nach § 22 Abs. 8 SGB II auch zur Tilgung eines Darlehens bei einem Dritten, das dieser zur Tilgung einer Mietschuld gewährt hat, geleistet werden kann oder soll. Das BSG bejahte dies, wenn im Zeitpunkt der Aufnahme des Darlehens bei dem Dritten die Voraussetzungen für die Gewährung eines Darlehens für Mietschulden durch das Jobcenter objektiv erfüllt waren, es die Mietschulden bei ermessensfreier Entscheidung hätte übernehmen müssen und in der Lage war, über das Mietschulddarlehen für die beim Vermieter bestehenden Schulden nach § 22 Abs. 8 SGB II zu entscheiden.
Dass im Rahmen von § 22 Abs. 8 SGB II nicht nur beim Vermieter bestehende Schulden, sondern auch bei Schulden aus einem Darlehen bei einem Dritten, das zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit aufgenommen wurde, eine Leistung gewährt werden kann, begründete das BSG mit dem offen formulierten Wortlaut von § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II, der nicht auf Schulden aus einem Mietvertrag beschränkt ist (Rn 22 der Gründe). Die für Leistungen der Bildung und Teilhabe geltende Sonderregelung in § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, der verlangt, dass die antragstellende Person kein Verschulden trifft, sei nicht anwendbar.
Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Darlehens für Mietschulden durch den Beklagten waren im Zeitpunkt der Aufnahme des Darlehens objektiv erfüllt. Ausreichend sei, dass die Voraussetzungen dem Grunde nach bestehen (Rn 23 der Gründe m.w.N.). Deshalb war unschädlich, dass die Leistungen für August 2015 erst rückwirkend gewährt wurden.
Ob das Jobcenter die Mietschulden bei ermessensfreier Entscheidung hätte übernehmen müssen, konnte das BSG nicht abschließend entscheiden. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II müssen Mietschulden i.d.R. übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst der Eintritt von Wohnungslosigkeit droht. Von Letzterem geht das BSG aus, wenn nach der konkreten Lage auf dem Wohnungsmarkt eine angemessene Ersatzwohnung nicht beschafft werden kann (Rn 26 der Gründe m.w.N.). Ansonsten sind bei der Ermessensausübung die negativen finanziellen, sozialen, gesundheitlichen und sonstigen Folgen des Verlusts des Wohnraums zu berücksichtigen. Bei der Ermessensabwägung können außerdem das Alter, die Dauer der bisherigen Wohnungsnutzung, die Gründe für das Entstehen der Schulden und die allgemeine Zahlungsbereitschaft der betroffenen Person von Bedeutung sein (Rn 28 der Gründe).
Die Möglichkeit des Beklagten, rechtzeitig über das Darlehen zu entscheiden, folgert das BSG aus dessen Pflicht zur Kostenerstattung bei nicht rechtzeitiger Entscheidung über die Leistung...