Die Beteiligten streiten auch hier darüber, ob ein versicherter Wegeunfall, d.h. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII), vorliegt. Der damals knapp 16-jährige Kläger war Gymnasiast und befand sich nach Schulschluss in einem Regionalexpress, um nach Hause zu fahren. Während der Fahrt öffnete er die verschlossene Durchgangstür des letzten Waggons mit einem mitgeführten Vierkantschlüssel und stieg auf die dahinterliegende, den Zug schiebende Lok. Auf dem Dach der Lok wurde er von einem Lichtbogen aus der Starkstrom führenden Oberleitung erfasst und stürzte von der Lok. Er überlebte schwer verletzt und zog sich u.a. hochgradige Verbrennungen von ca. 35 % der Körperoberfläche zu. Die Beklagte lehnte es ab, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der hiergegen gerichteten Klage gab das SG statt, das LSG hob jedoch das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Die zugelassene und eingelegte Revision, BSG, Urt. v. 30.3.2023 – B 2 U 3/21 R, war erfolgreich.
Als Schüler eines allgemeinbildenden Gymnasiums war der Kläger gem. § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b Var. 1 SGB VII „Versicherter” in der gesetzlichen Schülerunfallversicherung. Das BSG geht davon aus, der Kläger habe einen „Unfall” erlitten, als er am Unfalltag auf dem Nachhauseweg verunglückte. Die erforderliche Unfallkausalität (s. hierzu eingehend BSG, Urt. v. 9.5.2006 – B 2 U 1/05 R; zusammenhängend zur Unfallkausalität s. Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/Holtstraeter, 7. Aufl. 2023, § 8 SGB VII Rn 73 ff. m.w.N.), als Zusammenhang zwischen der Verrichtung des Klägers zum Unfallzeitpunkt – Besteigen der Lok während der Heimfahrt – und dem Unfallereignis – dem lichtbogenbedingten Sturz von der Lok – liege vor. Sie entfalle nicht deshalb, weil der Kläger die Gefahr selbst geschaffen hat. Das Gericht hebt darauf ab, es existiere kein Rechtssatz des Inhalts, wonach der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung ende, wenn sich Verletzte bewusst einer höheren Gefahr aussetzen und dadurch zu Schaden kommen. § 7 Abs. 2 SGB VII schließt selbst bei verbotswidrigem Verhalten den Versicherungsschutz nicht aus. Grundsätzlich sind auch selbstverschuldete Unfälle zu entschädigen, eine Ausnahme bildet allerdings § 101 Abs. 1 SGB VII für vorsätzlich herbeigeführte Versicherungsfälle und Abs. 2 S. 1 der Norm, wenn der Versicherungsfall bei einer von dem Versicherten begangenen Handlung eingetreten ist, die nach rechtskräftigem strafrechtlichem Urteil ein Verbrechen oder ein vorsätzliches Vergehen ist. Dass sich der Kläger vorliegend zumindest ordnungswidrig verhalten hat, hat im Hinblick auf den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung keine Auswirkung.
Die selbst geschaffene Gefahr ist dann bedeutsam, wenn ihr – wie hier – auch versicherungsfremde Motive zugrunde liegen. In dieser Situation sind die versicherungsbezogenen und -fremden Motive bei der Beurteilung der Unfallkausalität als versicherte und nichtversicherte Ursachen unter- und gegeneinander abzuwägen. Für den Ursachenzusammenhang gilt im gesamten Sozialrecht die Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach ist Ursache eines Erfolgs jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn auf dieser sog. ersten (rein tatsächlichen) Stufe feststeht, dass eine bestimmte Bedingung Ursache des Erfolgs ist, stellt sich auf der sog. zweiten (Wertungs-)Stufe die Frage, ob der versicherten Ursache ein hinreichend gewichtiger Verursachungsanteil zugerechnet werden kann oder ob die private, unversicherte Ursache von überragender Bedeutung ist.
Vorliegend war sowohl die versicherte als auch die unversicherte Verrichtung für den Unglücksfall ursächlich. Hätte der Kläger den unmittelbaren (Heim-)Weg von der Schule nach Hause mit der Lok nicht zurückgelegt und wäre er nicht auf die fahrende Lok geklettert, wäre es weder zur Auslösung des Lichtbogens noch zu dem Absturz von der Lok gekommen. Dabei war das Zurücklegen des unmittelbaren Weges vom Ort der Tätigkeit bei wertender Betrachtung noch rechtlich wesentlich, weil das Besteigen der Lok für den Schadenseintritt zwar erheblich, aber jedenfalls hier in der Schülerunfallversicherung (noch) keine überragende Bedeutung hatte. Der Kläger hat zudem mit seinem Aufstieg auf die Lok den unmittelbaren Heimweg mit dem Regionalexpress nicht unterbrochen oder sonst gelöst.
Ob die versicherte Ursache rechtlich wesentlich war, ist nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursachen zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender wertend zu entscheiden. Wesentlich ist hierbei nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Die Wesentlichkeit einer (Mit-)Ursache ist zu bejahen, wenn die versicherte Ursache rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereic...