1. Zulässigkeit des Sozialrechtswegs
a) Schadensersatz nach der Datenschutzgrundverordnung
Der Kläger beantragte im Juni 2019 von der beklagten Krankenkasse (KK) die Auskunft, welche seiner personenbezogenen Daten bei dieser gespeichert und verarbeitet wurden bzw. werden und erhob im August 2019 Klage zu dem für seinen damaligen Wohnsitz örtlich zuständigen SG. Nach Erteilung der Auskunft, es seien nur Daten zu Beschäftigungsverhältnissen des Klägers in den Jahren 2001 und 2002 vorhanden, wurde der Rechtsstreit durch übereinstimmende Erledigungserklärung beendet. In der Folge forderte der Kläger daraufhin von der Beklagten immateriellen Schadensersatz i.H.v. 2.000 EUR auf Grundlage von Art. 82 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wegen eines durch die verspätete Auskunft begründeten Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 3 DSGVO und hat deswegen im Juni 2021 Klage zum nunmehr örtlich zuständigen SG Frankfurt a.M. erhoben. Das SG hat den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Düsseldorf – am Sitz der Verwaltung der KK – verwiesen. Die Beschwerde des Klägers (§ 172 Abs. 1 SGG) blieb erfolglos. Die vom LSG zugelassene weitere Beschwerde (zulässig nach § 177 und § 202 SGG i.V.m. § 17a Abs. 4 S. 4 GVG) hatte beim BSG Erfolg.
§ 51 SGG bestimmt, für welche öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit offensteht. Abs. 1 der Norm regelt die Zuständigkeit für enumerativ angegebene Angelegenheiten. Hierzu gehören v.a. die gesetzliche Renten-, Kranken- und Unfallversicherung, die soziale und private Pflegeversicherung (s. zu dieser näher M-L/K/L/S/Keller, SGG, § 51, Rn 25 ff.), die Arbeitsförderung, die Grundsicherung für Arbeitsuchende, Angelegenheiten der Sozialhilfe nebst Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX und des AsybLG, sowie das Schwerbehindertenrecht.
Hinweis:
Insbesondere folgende Rechtsgebiete, obwohl sie materielles Sozialrecht regeln, unterfallen nicht der Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit, sondern derjenigen der Verwaltungsgerichtsbarkeit: Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII, Ausbildungsförderung nach dem BAföG und Wohngeld nach dem WoGG.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auch zuständig, für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird, so z.B. für Leistungen nach dem BKGG (s. § 15 BKGG).
Wie das BSG nunmehr entschieden hat (v. 6.3.2023 – B 1 SF 1/22 R, ASR 2023, 134, hierzu Schäfer-Kuczynski, FD-SozVR 2023, 45857) handelt es sich bei dem hier streitigen Schadensersatz um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 51 Abs. 1 SGG. Die Erhebung und Speicherung der Daten erfolgt erkennbar im Zusammenhang mit den Melde- und Beitragsverfahren der Sozialversicherung nach § 28a ff. SGB IV, dessen Durchführung den KKen als Einzugsstellen (§ 28a Abs. 1, § 28h Abs. 1 S. 1 SGB IV) zugewiesen ist.
Ferner erfasse die Rechtswegzuweisung in § 81b Abs. 1 SGB X auch den in Art. 82 DSGVO geregelten Schadensersatzanspruch. Nach der Vorschrift des § 81b Abs. 1 SGB X ist für Klagen der betroffenen Person gegen einen Verantwortlichen oder einer Auftragsverarbeitung wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der VO (EU) 2016/679 oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person bei der Verarbeitung von Sozialdaten im Zusammenhang mit einer Angelegenheit nach § 51 Abs. 1 u. 2 SGG der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet (s. zur Begründung im Einzelnen Rn 13–18 der Entscheidung).
Diese Rechtswegzuweisung an die Sozialgerichte werde nicht durch Art. 34 S. 3 GG verdrängt, der für die dort erfassten Ansprüche zwingend den ordentlichen Rechtsweg vorsieht. Das BSG lässt offen, inwieweit Art. 34 S. 3 GG seinerseits hinter Art. 82 Abs. 6 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 DSGVO zurücktritt, jedenfalls sei der Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO kein Amtshaftungsanspruch i.S.v. Art. 34 S. 3 GG. Es fehle an der persönlichen Verantwortlichkeit eines Amtsverwalters als Anspruchsvoraussetzung, wie sie die Anwendung des Art. 34 S. 3 GG voraussetzt.
Schließlich sei die einfachgesetzliche Rechtswegzuweisung des § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO nicht anwendbar, da diese Vorschrift hinter § 81b Abs. 1 SGB X als lex spezialis zurücktritt, wenn für bestimmte Ersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten spezialgesetzlich ein anderer Rechtsweg zugewiesen ist.
Hinweis:
Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen, der Bemessung sowie des Umfangs von immateriellen Schadensersatzansprüchen gem. Art. 82 DSGVO bei Datenschutzverstößen hat nunmehr der EuGH entschieden (Urt. v. 4.5.2023 – C 300/21, NJW 2023, 1930, ASR 2023, 174 m. Anm. Fischer); allerdings bleiben weiterhin Fragen zu den Voraussetzungen des Anspruchs offen (s. die Anm. v. Paal/Aliprandi, NJW 2023, 1914).
b) Weitere Entscheidungen des BSG zum Rechtsweg im Berichtszeitraum
Mangels gesetzlicher Zuweisung besteht keine Zuständigkeit der Sozialgerichte für Streitigkeiten um Vergütung von Corona-Bürgertests. Es handelt sich um eine öffent...