a) Standardisiertes Messverfahren
Die langjährige Diskussion zu standardisierten Messverfahren und deren Auswirkungen auf das Bußgeldverfahren hat sich infolge der Klärungen durch das BVerfG erheblich beruhigt (zu technischen und rechtlichen Gesichtspunkten Stückmann/Gratz, DAR 2024, 378). Dabei handelt es sich um ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083; BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321, 322). Insofern gilt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis: Ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler genügt das Gericht mit der Feststellung von Messverfahren und Toleranzabzug seiner Aufklärungs- und Darstellungspflicht (Regelfall). Anderes gilt nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Messfehler (Ausnahme), wofür es regelmäßig konkreter, einer Beweiserhebung zugänglicher Einwände des Betroffenen bedarf. Im Grundsatz genügt im Urteil die Angabe des verwendeten standardisierten Messverfahrens und des abgezogenen Toleranzwerts. Der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) soll die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommen.
b) Auswirkung der Entscheidungen des BVerfG
Das BVerfG hat sich wiederholt zu Fragen des Rechts auf Einsicht in Messunterlagen beschäftigt (Nachweise in den letzten Berichten). Der Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens, der die Zugänglichmachung bestimmter Unterlagen begehrt, muss diesen Anspruch mittels eines Antrags auf Herausgabe bzw. Zugänglichmachung der von ihm zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens für erforderlich gehaltenen Daten grds. bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde nach §§ 59 ff. OWiG geltend machen und im Falle einer Ablehnung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 1 S. 1 OWiG stellen. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren (hier: „Waffengleichheit”) folgt nicht, dass die zuständigen Behörden nur Geräte einsetzen dürften, die Rohmessdaten erheben und dauerhaft speichern (VerfG Sachsen-Anhalt, NVwZ-RR 2024, 441 = NZV 2024, 301 [Sandherr]). Wird einem Antrag auf Überlassung von nicht bei den Akten befindlichen Informationen, auf die der Betroffene Anspruch hat (hier: Bedienungsanleitung, Lebensakte), nicht entsprochen und hat sich der Betroffene nachhaltig um die Informationsgewährung bemüht, ist dem darauf gestützten Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung zu entsprechen. Ein Übergehen des Antrags stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Liegt zwischen der Zurückweisung des Antrags auf Informationsüberlassung durch die Bußgeldbehörde und der Abgabe an das Gericht ein Zeitraum, in dem eine Stellung und Bescheidung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG nicht zu erwarten ist, steht das Unterbleiben des Antrags der Geltendmachung einer Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nicht entgegen (OLG Karlsruhe, NZV 2024, 303 [van Endern]; DAR 2024, 402). Der Anspruch des Betroffenen auf Zugang zu außerhalb der Akte befindlichen Informationen umfasst neben der ihn betreffenden Falldatei auch den zum Öffnen dieser Datei erforderlichen öffentlichen Schlüssel des Messgeräts (OLG Saarbrücken, DAR 2024, 405 m. Anm. Gratz; s. auch OLG Karlsruhe, zfs 2024, 526, 530).
c) Einzelne Messverfahren und Auswertung
Die fehlende Erfassung des Messbereichs bei der konkreten Messung mit dem Geschwindigkeitsmessverfahren Poliscan FM1 mit der Softwareversion 4.4.9. – einer sog. Hilfsgröße – führt ebenso wie die fehlende Speicherung der Rohmessdaten nicht zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses. Die Veränderung der Gerätesoftware lässt die Standardisierung i.d.R. nicht entfallen (KG, VRS 146, 253 = NZV 2024, 402 [Deutscher]). Die Befundprüfung, bei der gem. § 39 Abs. 2 MessEV die Verwendungssituation des Messgeräts zu berücksichtigen ist, vermag Klarheit darüber zu verschaffen, ob das jeweilige Messgerät den Anforderungen der Eichung und der Konformitätsprüfung genügt (OLG Köln, zfs 2024, 408; s. auch OLG Karlsruhe, zfs 2024, 526, zu den Anforderungen bei der Einholung eines Gutachtens zur Geschwindigkeitsmessung BayObLG, DAR 2024, 456 m. Anm. Gratz).
d) Sonstiges
Auf Kraftfahrstraßen ohne bauliche Trennung der Richtungsfahrbahnen gilt für Personenkraftwagen mit Anhänger, auch wenn das Gespann die bauartbedingten Anforderungen des § 1 S. 1 der 9. Ausnahmeverordnung zur StVO erfüllt, gem. § 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a. bb. StVO eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h (BayObLG, DAR 2024, 455 m. Anm. Pliefke). Es besteht keine allgemeine Erkundigungspflicht, ob für den Ort des Antritts der Fahrt mit einem Kfz temporär eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Eine solche Erkenntnis mit entsprechender Erkundigungspflicht kann sich aber aufgrund bestimmter Umstände aufdrängen (KG, VRR 8/2024, 28 [Deutscher]). Es besteht keine schuldmindernde Auswirkung der fehlenden Kenntnis des Messbeamten von den mit der Verkehrsüberwachung verbundenen Vorschriften (OLG Celle, DAR 224, 276 m. Anm. Weigel = VRR 5/2024, 17 [Deuts...