I. Vorbemerkung
Die berufs-, vergütungs- und haftungsrechtlichen Fragen der Mandatsfinanzierung in besonderen Fallgestaltungen und Verfahrensarten sind im Gefolge einiger Grundsatzentscheidungen des BVerfG und des BGH und der damit verbundenen Gesetzesänderungen und Folgediskussionen in den Fokus der Aufmerksamkeit der Kollegenschaft gerückt. Dies zu Recht, denn die damit verbundenen Probleme der gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten mit Blick auf die Honorarsicherung, Verfahrensfinanzierung und Fremdgeldverwaltung sind von enormer praktischer Relevanz – und sind oft haftungsträchtig.
Literaturhinweis:
Einen guten Überblick über die Änderungen durch das 2. KostRMoG vermittelt Beck-Bever (BRAK-Mitteilungen 4/2013, S. 146 f.), die einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Maßgaben des Erfolgshonorars mit wirklich instruktiven rechtshistorischen Bezügen beleuchtet umfassend und lesenswert Vogeler (JA 2011, 321 ff.).
Nachdem das BVerfG (Beschl. v. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04) die Zulässigkeit einer Erfolgsvergütung in speziellen Fällen bejaht und damit den Anstoß für die Schaffung der §§ 4a f. RVG gegeben hat, zeigt das in Kollegenkreisen kritisch diskutierte Urteil des BGH (Urt. v. 25.9.2014 – 4 StR 586/13, ZAP EN-Nr. 934/2014; s.a. Singer ZAP F. 24, S. 1405) die Brisanz dieser Fragen auf: Dass die Verletzung der berufsrechtlichen Obliegenheit (die Rechtsnatur ist unstreitig, vgl. Mayer/Kroiß/Teubel RVG § 4b Rn. 5 ff. m.w.N.) eines Hinweises auf die gesetzliche Vergütung gem. § 4b RVG einem Kollegen die strafgerichtliche Verurteilung wegen Betrugs einbrachte, verdeutlicht eindrucksvoll, wie ratsam es ist, die hohen Anforderungen an eine kluge und ausgewogene Vertragsgestaltung zu erfüllen.
Dabei stellt sich aus anwaltlicher Sicht neben der notwendigen Kenntnis der Rechtsgrundlagen zugleich auch die Frage nach den gestalterischen Möglichkeiten, einen Interessenausgleich mit Blick auf die Honorarsicherung in Verfahrensarten zu finden, die von sehr lange dauernden und belastenden Prozessen gekennzeichnet sind. Dies sind insbesondere Rechtsmittelverfahren vor den Höchstgerichten und der europäischen Gerichtsbarkeit, in denen sich die typische Situation wirtschaftlich belasteter Mandanten ergibt, buchstäblich "mit letzter Kraft" gegen die Rechtskraft einer Entscheidung oder gegen die letzte Entscheidung im nationalen Instanzenzug anzukämpfen. Es gilt in besonderem Maße aber auch für strafrechtliche Wiederaufnahmeverfahren und führt zu den Fragen:
- Welche Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung (und Weiterführung) der Verfahren und welche Konstruktionen zur Honorarsicherung existieren insoweit – auch und gerade unter Einbeziehung der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG zum Erfolgshonorar?
- Welche Vertragsgestaltungen sollten gewählt werden?
- Welche Haftungsgefahren lauern?
II. Typische Interessenlage in Verfahren vor Höchstgerichten
Um die Interessenlage in einem solchen anwaltlichen Mandatsauftrag aufzuzeigen, mag der Blick auf die typische Situation gerichtet sein, wie sie sich in Verfahren in den höheren Instanzen, insbesondere vor den Bundesgerichten, dem BVerfG und dem EGMR darstellt sowie regelmäßig in prägnanter Schärfe auch im strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten nach § 359 StPO. Dies sind oftmals Verfahren von erheblicher Dauer, die regelmäßig auch von existentieller Bedeutung für die wirtschaftliche Situation der Mandanten sind, welche nicht selten während des Instanzenzugs in ihrer wirtschaftlichen Existenz geschwächt oder gar zerstört sind. Insbesondere in diesen Verfahrensarten, aber ceteris paribus auch in zahlreichen vergleichbaren Umfangsverfahren, ergibt sich eine typische Interessenlage, welche im Rahmen einer ausgewogenen, überlegten und an allen relevanten gesetzlichen Maßgaben orientierten Vertragsgestaltung zu bedenken ist.
1. Verfahren vor dem EGMR
Trotz der expliziten Normierung des konventionsrechtlichen Beschleunigungsgebots in Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK dauern z.B. die Verfahren der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK vor dem EGMR oftmals extrem lange (vertiefend s. Heuchemer AnwBl. 2014, 411 ff.). Gesicherte empirische Zahlen existieren nicht, aber eine Verfahrensdauer von fünf Jahren und mehr ist (leider) eher die Regel als die Ausnahme (z.B. Dauer des Verfahrens Gäfgen vs. Germany vor dem EGMR, Appl. No. 229758/05: von 2005 bis 2010). Bis dahin hat der Mandant i.d.R. bereits einen mehrjährigen Leidensweg im gesamten nationalen Rechtszug einschließlich der Verfassungsgerichtsbarkeit hinter sich, den er gem. Art. 35 EMRK auch erschöpfen muss. Dies ist übrigens der legislatorische Grund für die äußerst großzügige und dogmatisch in weiten Grenzen "quer" zu den allgemeinen Regeln der Schadenssubstantiierung liegenden Judikatur des EGMR, die in Anwendung von Art. 41 EMRK einen pauschalierten Schadensersatz in oftmals vergleichsweise beträchtlicher Höhe gewährt.
Beispiel:
Selmouni vs. France Gerichtshof im Urt. v. 28.7.1999 – 25803/94, Rn. 101 ff: 500.000 FF für einen verurteilten Drogenkurier wegen rechtswidriger Erlangung der maßgeblichen Beweismittel. Geschluckte, per Prä...