Leitsatz des Gerichts:
Der Streitwert in einem Rechtsstreit um das Bestehen einer berufseröffnenden Prüfung wie dem zweiten juristischen Staatsexamen bemisst sich nicht nach den erwarteten Verdienstmöglichkeiten, sondern ist mit 15.000 EUR zu bewerten.
OVG NRW, Beschl. v. 11.3.2015 – 14 E 214/15 = ZAP EN-Nr. 851/2015
Bearbeiter: Rechtsanwalt Benjamin Unger, Hildesheim
I Vorbemerkung
Das Jahr 2013 war für die im Verwaltungsrecht tätigen Rechtsanwälte segensreich und verheißungsvoll. Zunächst trat zum 1.8.2013 die lange erwartete Reform des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) in Kraft (Art. 8 des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes, BGBl. 2013 I, S. 2586), die zu einer spürbaren Erhöhung der bisherigen Vergütungssätze geführt hat.
Im Zuge der Reformdiskussion und der Bewertung der im Einzelnen erfolgten Novellierungen ist weitgehend untergegangen, dass zeitgleich auch der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ( www.bverwg.de/medien/pdf/streitwertkatalog.pdf) überarbeitet und z.T. erheblich geändert worden ist. Hervorzuheben ist hier die von der Streitwertkommission in den Ziffern 36.2 und 36.3 nun ausgesprochene Empfehlung, den Wert des Streits um die Rechtmäßigkeit eines den Berufszugang verwehrenden Prüfungsbescheids auf die Höhe des vom Kläger erwarteten Jahresgehalts, mindestens aber wie bisher auf 15.000 EUR festzusetzen. Die Umsetzung dieser neuen Empfehlung kann zu erheblichen Umsatzsteigerungen führen.
Beispiel:
(VG Braunschweig, vorläufiger Streitwertbeschl. v. 7.1.2014 – 7 A 6/14, n.v.)
Der Kläger besteht die zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien nicht; Festsetzung des Streitwerts auf 55.000 EUR.
Daraus ergäbe sich bereits bei der im Widerspruchsverfahren anfallenden Rechtsanwaltsvergütung eine Mehrvergütung i.H.v. 925,11 EUR (im Vergleich zu einem bloßen Streitwert von 15.000 EUR) bei einem Ansatz einer durchschnittlichen Geschäftsgebühr.
Diese (mögliche) – erhebliche – Erhöhung der gesetzlichen Gebühr kommt auch dem Mandanten zugute, da sie eine diese übersteigende Vergütungsvereinbarung vielfach entbehrlich macht und dem Mandanten im Obsiegensfall daher sämtliche Kosten erstattet werden.
Die berechtigte Erwartung der Rechtsanwälte und ihrer (potentiellen) Mandanten, dass die Verwaltungsgerichte wie in der Vergangenheit den Empfehlungen im Streitwertkatalog weitgehend folgen (vgl. Geiger, Streitwertkatalog 2013: Änderungen im Bereich Verkehrsrecht, DAR 2014, 57, 58; Schneider/Wolf, AnwK-RVG, 7. Auflage 2010, Anhang III), hat nun durch den hier behandelten Beschluss des OVG NRW einen Dämpfer erhalten.
II. Sachverhalt
Streitgegenständlich war ein Bescheid der zuständigen Prüfungsbehörde, nach dem der Kläger die berufseröffnende Abschlussprüfung, hier die 2. juristische Staatsprüfung, nicht bestanden hatte. Das VG Köln hatte den Streitwert entsprechend der bisherigen ständigen Rechtsprechung erstinstanzlich auf (nur) 15.000 EUR festgesetzt. Mit seiner gegen den Streitwertbeschluss eingelegten Beschwerde begehrte der Kläger unter Berufung auf die neuen Empfehlungen im Streitwertkatalog eine Heraufsetzung des Streitwerts auf 35.000 EUR. Zur Begründung berief er sich auf das Ergebnis von Untersuchungen zu den Einstiegsgehältern von gerade examinierten Rechtsanwälten (Studie des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement, BRAK-Mitt. 2006, 55 f.; s.a. BGH, Beschl. v. 30.9.2009 – AnwZ (B) 11/08, NJW 2010, 1972, 1973) und seine erfolgte Spezialisierung auf das Steuerrecht.
III Entscheidung
Das OVG NRW folgt vorliegend der Streitwertfestsetzung des erstinstanzlichen Gerichts und bestätigt damit seine bisherige Senatsrechtsprechung auch im Lichte des überarbeiteten Streitwertkatalogs.
Zur Begründung dieser Entscheidung führt das OVG NRW die folgenden zwei Argumente an (Beschl. v. 11.3.2015 – 14 E 214/15, juris, Rn. 1):
- Es überzeuge nicht, die sich für den Kläger ergebende Bedeutung der Klage um eine berufseröffnende Prüfung allein vom erwarteten Verdienst abhängig zu machen, weil diese zuvörderst im Immateriellen der beruflichen Persönlichkeitsentfaltung liege und daher weit mehr umfasse, als Geld verdienen zu können.
- Darüber hinaus stelle die berufseröffnende Prüfung nur ein Element zur Erwirtschaftung eines Verdienstes dar und setze weiter eine Bewerbung auf eine Stelle und deren Erlangung voraus.
IV. Anmerkung
Der Beschluss des OVG NRW ist zunächst insoweit bemerkenswert, als sich der Senat wie selbstverständlich über die neue Empfehlung der Streitwertkommission für die Festsetzung des Streitwerts bei Berufszugangsprüfungen hinwegsetzt. Denn bislang sind die von den Verwaltungsgerichten im Streitwertkatalog aufgestellten Bewertungsrichtlinien im Wesentlichen umgesetzt worden. Zudem lagen bisher noch keine (gleichlautenden) Entscheidungen anderer Gerichte zur Frage der (angemessenen) Streitwerthöhe auf der Grundlage des neuen Streitwertkatalogs vor. Bei dieser Sachlage wäre eine eingehendere Begründung für den Bruch mit der bisherigen Praxis der Streitwertfestsetzung angezeigt gewesen.
Die wenigen Ausführungen, zu denen sich der Senat veranlasst sieht, überzeugen m.E. nicht. ...