Verfassungsrichter warnen vor Verfall der Demokratie in Europa
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle und sein französischer Amtskollege Laurent Fabius haben sich besorgt über den Zustand der Europäischen Union (EU) geäußert. In einem gemeinsamen Interview mit einer deutschen und einer französischen Tageszeitung warnten sie mit Blick auf die politischen Entwicklungen in Ungarn und Polen vor einem Verfall der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in der EU.
Wer die Befugnisse eines Verfassungsgerichts einschränke, wie dies in Polen der Fall sei, der greife den Kern des Rechtsstaats an. Die EU müsse hier klar Position beziehen, wie sie rechtsstaatliche Prinzipien durchsetzen wolle. Der Umgang der Regierung in Warschau mit dem polnischen Verfassungsgericht sei ein Irrweg für Europa und damit auch für Polen. Wo es keine wirksame Opposition, freie Wahlen und eine starke Presse gebe, könne Demokratie nicht gedeihen.
Insgesamt sei die EU, so die Verfassungsrichter, derzeit in keinem guten Zustand. Jedoch könnten die Verfassungsgerichte helfen, die Rechtsgemeinschaft wieder zu stärken. Mit Blick auf den Brexit, also das bevorstehende Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, warnten beide Richter vor einem zu nachsichtigen Umgang mit den Briten. Wer die Privilegien der Gemeinschaft in Anspruch nehme, müsse auch deren Lasten mittragen. Großbritannien könne nicht "gleichzeitig drinnen und draußen" sein. Das Ausscheiden eines Landes aus der EU könne für diese aber eine Chance sein, Reformen einzuleiten.
Sorgen bereitet den höchsten Verfassungsrichtern auch der Umgang mit den Grundrechten in Zeiten einer zunehmenden Terrorismusgefahr. Wer die Freiheitsrechte im Namen angeblicher Effizienz knebele, laufe Gefahr, das Spiel der Terroristen zu spielen. Die Verfassungsgerichte seien nicht dazu da, den Sicherheitsbehörden eine Blankovollmacht zu geben. Für die Richter sei es vielmehr gerade in diesen Zeiten wichtig, "unabhängig und furchtlos" zu urteilen.
[Red.]
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Bundesjustizministerium
Vier Jahre lang hat die Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit (UMK) untersucht, wie das Bundesjustizministerium in den fünfziger und sechziger Jahren mit der NS-Vergangenheit umgegangen ist. Die Ergebnisse seien "bedrückend", so Bundesjustizminister Maas bei der Vorstellung des Berichts Mitte Oktober.
Im Januar 2012 hatte die UWK ihren Arbeitsauftrag erhalten. Ein Team von Historikern und Juristen untersuchte unter der Leitung des Historikers Prof. Manfred Görtemaker und des Juristen Prof. Christoph Safferling seitdem den Umgang des Ministeriums mit der Nazi-Vergangenheit, die personellen und sachlichen Kontinuitäten, die Verfolgung von Verbrechen im Zusammenhang mit dem Holocaust sowie Fragen von Amnestie und Verjährung. Der Abschlussbericht ist nun unter dem Titel "Die Akte Rosenburg" erschienen.
"Die Akte Rosenburg ist bedrückend", betonte Heiko Maas bei der Vorstellung des Berichts. "Sie zeigt die großen Versäumnisse der Vergangenheit, und sie formuliert damit zugleich eine Verpflichtung für die Gegenwart." Die Untersuchung mache eine hohe personelle Kontinuität zwischen der Nazi-Justiz und dem Justizministerium der jungen Bundesrepublik deutlich, so Maas weiter. Mehr als die Hälfte aller Führungskräfte waren ehemalige NSDAP-Mitarbeiter, jeder fünfte war Mitglied der SA, viele stammten aus dem Reichsministerium.
Das Rosenburg-Projekt habe aber mehr geleistet als nur "Nazis zu zählen", wie das Kritiker despektierlich nennen, erklärte Maas. Der Bericht zeige auch die fatalen Folgen der personellen Kontinuität: Viele Gesetze, beispielsweise im Jugendstrafrecht, wurden nur sehr oberflächlich entnazifiziert und auch die Diskriminierung einstiger Opfer wie Homosexuelle oder Sinti und Roma wurde fortgesetzt.
Mit Blick auf die Ergebnisse und die Konsequenzen, die das Ministerium und die Justiz daraus ziehen sollten, ist man sich im Ministerium einig: Der Blick in die Geschichte zeige, wie wichtig es sei, dass Juristen die Werte des Grundgesetzes lebten und verteidigten – die Würde des Menschen, die individuelle Freiheit und die gesellschaftliche Vielfalt. Das Unrecht, das deutsche Juristen im 20. Jahrhundert angerichtet hätten, solle daher Pflichtstoff der Juristenausbildung werden. Darüber hinaus werde im Bundesjustizministerium ein neues Fortbildungsprogramm initiiert. "Wir wollen die Ergebnisse der ‚Akte Rosenburg‘ in die Fläche tragen", so der Minister.
[Quelle: BMJV]
Gesetz zu Samenspenderregister in Vorbereitung
Das Bundesjustizministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat im vergangenen Monat den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen vorgelegt. Mit der Neuregelung sollen Personen, die durch eine heterologe Verwendung von Samen gezeugt wurden, auf Anfrage Informationen über ihre Abstammung erlangen können. Mit dem Vorhaben soll einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag Rechnung getragen und die Möglichkeit der Geltendmachung des von der Rechtsprechung entwickelten Anspruchs auf Kenntnis der Abstammung a...