1. Neuregelung
Der Gesetzgeber hat im Beweisantragsrecht eine Änderung in § 244 StPO vorgenommen, die auf Vorschläge der Expertenkommission zurückgeht. Nach den neuen Regelungen in § 244 Abs. 6 S. 2 bis 4 StPO kann danach in Zukunft der Vorsitzende nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen. Mit dieser Neuregelung "(...) soll den Gerichten eine Möglichkeit an die Hand gegeben werden, dem Stellen von Beweisanträgen zum Zwecke der Verfahrensverzögerung zu begegnen, ohne dass das Beweisantragsrecht der Verfahrensbeteiligten – insbesondere des Angeklagten – beschnitten wird" (BT-Drucks 18/11277, S. 34; zur Rechtsprechung zur sog. strafprozessualen Fristenlösung BVerfG NJW 2010, 592; BGHSt 51, 333; 52, 355; wegen weiterer Nachw. Burhoff, HV, Rn 3182 ff.).
2. Anwendungsbereich
Die Regelung gilt für alle Verfahren und ist nicht etwa wie das neu eingeführte "Abstimmungsgespräch" (§ 213 Abs. 2 StPO; vgl. V. 1.) oder das "Opening Statement" (§ 243 Abs. 5 S. 3 StPO; vgl. III.) auf bestimmte umfangreichere Verfahren beschränkt. Die Regelung gilt also nicht nur in (erstinstanzlichen) Verfahren beim LG/OLG, sondern auch in allen Verfahren beim AG. Sie gilt über § 71 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren, was allerdings dort durch die Vorschrift des § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG, die schon nach geltendem Recht die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verspätung zuließ, relativiert wird.
3. Voraussetzung für die Fristsetzung
Voraussetzung für die Fristsetzung nach § 244 Abs. 6 S. 2 StPO ist (nur), dass die von Amts wegen vorgesehene Beweisaufnahme abgeschlossen ist, also der Zeitpunkt des sog. Schlusses der Beweisaufnahme (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 2473 ff.) erreicht ist. Es müssen keine Anzeichen/Indizien für einen Missbrauch des Beweisantragsrechts bzw. für eine Verschleppungsabsicht vorliegen. In der Gesetzesbegründung klingen solche Vorgaben zwar an (vgl. BT-Drucks 18/11277, S. 34), sie haben aber im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden.
Hinweise:
- Die Fristsetzung ist erst nach dem Schluss der Beweisaufnahme zulässig. Frühere Fristsetzungen sind unzulässig.
- Setzt der Vorsitzende dennoch vor dem in § 244 Abs. 6 S. 2 StPO bestimmten Zeitpunkt eine Frist, sollte der Verteidiger das im Hinblick auf die Revision (§ 338 Nr. 8 StPO) nach § 238 Abs. 2 StPO beanstanden.
4. Angemessene Frist
Gesetzt werden muss eine "angemessene" Frist. Was unter "angemessen" zu verstehen ist, wird in § 244 Abs. 6 S. 2 StPO nicht geregelt. Von Bedeutung sind insoweit alle Umstände des Einzelfalls, wie die bisherige Verfahrensdauer, der bisherige Umfang der Beweisaufnahme, die Belastung der Verteidigung, ggf. die erforderliche Zeit, um weitere Informationen einzuholen, die für die Stellung des Beweisantrags erforderlich sind, usw. An dieser Stelle wird man die Rechtsprechung des BVerfG/BGH zur früheren Rechtslage (vgl. IV. 1.) heranziehen können (s. dazu auch Burhoff, HV, Rn 3186). Legt man diese zugrunde, darf die gesetzte Frist nicht zu kurz sein. Der 5. Strafsenat (BGH StV 2009, 581 [insoweit nicht in BGHSt 54, 39]) hat z.B. früher eine Frist von nur einem Tag als nicht angemessen angesehen. Auch das BVerfG (NJW 2010, 592; 2010, 2036) scheint von einer angemessenen/längeren Frist auszugehen (zu weiteren Fristsetzungen, wenn das Gericht erneut in die Beweisaufnahme eintritt Burhoff, StPO 2017, Rn 247).
Hinweis:
Wird dem Verteidiger durch den Vorsitzenden eine zu kurze Frist zur Stellung von Beweisanträgen gesetzt, muss er diese Maßnahme der Verhandlungsleitung nach § 238 Abs. 2 StPO beanstanden (inzidenter BGH NJW 2011, 2821). Anderenfalls geht die Rügemöglichkeit in der Revision verloren (zum Inhalt der Beanstandung s. Burhoff, StPO 2017, Rn 245).
5. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolge der "angemessenen" Fristsetzung ist in § 244 Abs. 6 S. 3 StPO geregelt. Danach müssen nach Fristablauf gestellte Beweisanträge nicht (mehr) gem. § 244 Abs. 6 S. 1 StPO in der Hauptverhandlung durch Beschluss beschieden werden, vielmehr ist eine Bescheidung in den Urteilsgründen erlaubt. Ausreichend für den Eintritt der Rechtsfolge ist allein der Fristablauf. Weitere Voraussetzungen, wie etwa Verfahrensverzögerung und/oder Anzeichen für eine Verschleppungsabsicht, müssen nicht vorliegen (krit. hierzu BRAK-Stellungnahme 17/17, S. 7).
Hinweis:
Zu beachten ist, dass die Neuregelung nicht den Katalog der Ablehnungsgründe in § 244 Abs. 3 bis 5 StPO erweitert hat (so ausdrücklich BT-Drucks 18/11277, S. 35). Geändert worden ist lediglich die Form bzw. Art und Weise der Bescheidung des "verspätete...