Änderungen im Überblick:
- Norm: § 265 StPO
- Regelungsgehalt: Erweiterung der Hinweispflicht
- Verteidigerstrategie: ggf. Aussetzung der Hauptverhandlung beantragen
1. Neues Regelungsgefüge
§ 265 StPO, der das Gericht verpflichtet, den Angeklagten in der Hauptverhandlung auf eine Änderung rechtlicher, tatsächlicher und auch verfahrensrechtlicher Gesichtspunkte hinzuweisen (eingehend zu § 265 StPO Burhoff, HV, Rn 1720 ff. m.w.N.), ist geändert/erweitert worden. Grundlagen sind das Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, der rechtsstaatliche Grundsatz des fairen Verfahrens und Gedanken der Transparenz, die insgesamt eine sachgemäße Verteidigung des Angeklagten sichern sollen. Dabei ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Änderungen allein der Sachlage für die Verteidigung in gleichem Maße bedeutsam sein können wie Änderungen rechtlicher Gesichtspunkte. Ebenso kann die Anordnung anderer Maßnahmen als einer Maßregel der Besserung und Sicherung oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge in ihren Konsequenzen für den Angeklagten und sein Verteidigungsverhalten erheblich sein. Gleiches gilt, wenn das Gericht an einer zuvor in der Hauptverhandlung mitgeteilten Bewertung nicht mehr festhalten will.
Achtung:
- Erweitert worden ist (nur) § 265 Abs. 2 StPO.
- § 265 Abs. 1 StPO ist unverändert geblieben! Das bedeutet, dass die zu § 265 Abs. 1 StPO vorliegende Rechtsprechung und Literatur weiterhin uneingeschränkt anwendbar bleiben (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 1722 ff.).
2. Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO
Nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO muss in Zukunft ein Hinweis auch erfolgen, wenn sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen. Bislang waren in § 265 Abs. 2 StPO nur strafbarkeitserhöhende Umstände und Maßregeln der Besserung und Sicherung genannt (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 1728 ff.). Damit ist die Hinweispflicht auf sonstige Maßnahmen i.S.d. § 11 Nr. 8 StGB erweitert worden. Ein Hinweis ist damit auch dann erforderlich, wenn sich nachträglich vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, die die Anordnung der Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (§§ 73 ff. StGB) oder der Unbrauchbarmachung (§ 74d StGB) rechtfertigen. Erfasst wird von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO jetzt auch die Verhängung einer Nebenstrafe, also eines Fahrverbots nach § 44 StGB, so dass die Neuregelung des § 44 StGB durch das "Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze", das im "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" vom 17.8.2017 (BGBl I, S. 3202) aufgegangen ist, auch an dieser Stelle in der Praxis von erheblicher Bedeutung sein wird. Ebenso erfasst die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO die Fälle, in denen nachträglich vom StGB besonders vorgesehene Umstände hervortreten, die die Anordnung einer Nebenfolge rechtfertigen. Das wären die in § 45 StGB genannten (Neben-)Folgen des Verlustes der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts, sowie die Bekanntgabe der Verurteilung nach § 165 StGB im Fall einer öffentlichen falschen Verdächtigung oder nach § 200 StGB bei einer öffentlichen Beleidigung. Auch die Verhängung eines Fahrverbots nach § 25 StVG ist erfasst.
3. Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO
§ 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO enthält eine neue Hinweispflicht. Die Verpflichtung des Gerichts ist nämlich jetzt auch auf die Fälle "erstreckt" (BT-Drucks 18/11277, S. 37), in denen das Gericht von einer vorher in der Hauptverhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will. Hintergrund ist, dass eine vorläufige Bewertung der Sach- oder Rechtslage durch das Gericht, die z.B. im Rahmen einer Erörterung nach § 257b StPO erfolgt ist, i.d.R. beim Angeklagten einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Der Grundsatz des fairen Verfahrens und das Verbot der Überraschungsentscheidung (BT-Drucks, a.a.O.) gebieten daher einen Hinweis, wenn das Gericht von einer derartigen Bewertung abweichen will. Die Situation ist vergleichbar mit derjenigen, in der die Bindung des Gerichts an eine Verständigung nachträglich gem. § 257c Abs. 4 StPO entfällt. In diesen Fällen sah § 257c Abs. 4 S. 4 StPO bereits eine Mitteilungspflicht des Gerichts vor (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 220 ff. m.w.N.). In den Fällen des Entfallens der Bindungswirkung einer Verständigung bestehen die beiden Hinweispflichten nebeneinander, die aus § 257c Abs. 4 S. 4 StPO hervorgehen.
Hinweis:
Auch aufgrund der Neuregelung in § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO ist das Gericht aber nach wie vor nicht zu einem Rechtsgespräch und/oder zur Information in einer Art "Zwischenverfahren" über die vorläufige Bewertung von Beweismitteln verpflichtet. Solche Gespräche sind zwar, wie § 257b StPO zeigt, erlaubt, das Gericht ist zu ihnen aber nicht verpflichtet. Daran hat sich durch die Neuregelung nichts geändert (grundlegend schon BGHSt 43, 212; Meyer-Goßner/S...