Hat das Gericht den Betroffenen nicht vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden, erscheint der Betroffene aber dennoch in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung nicht, ist das Gericht nach § 74 Abs. 2 OWiG verpflichtet/gezwungen, den Einspruch durch Urteil zu verwerfen (OLG Dresden zfs 2014, 590; OLG Hamm NZV 2012, 354). Die nach altem Recht mögliche Vorführung des Betroffenen oder die Verhandlung nach § 74 Abs. 1 OWiG in seiner Abwesenheit sind nicht (mehr) möglich (OLG Hamm VRS 121, 335; Göhler/Seitz/Bauer, § 74 Rn 34).
Hinweis:
Der Einspruch darf auch (noch) verworfen werden, wenn der Betroffene in der Hauptverhandlung ausbleibt, die nach Zurückverweisung durch das OLG anberaumt worden ist, nachdem ein vom AG zunächst erlassenes Sachurteil (nur) im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben worden ist (BGHSt 57, 282; vgl. dazu einerseits OLG Celle [Vorlagebeschluss] NZV 2012, 44 m.w.N.; andererseits OLG Hamm VRR 2007, 155).
Inzwischen wird die Frage diskutiert, ob und welche Auswirkungen das Urteil des EGMR vom 8.11.2012 in Sachen Neziraj im Bußgeldverfahren hat (EGMR NStZ 2013, 350 m. Anm. Püschel; StraFo 2012, 490). Dieses ist zwar für das Verfahren nach § 329 Abs. 1 StPO ergangen (vgl. dazu eingehender Burhoff, HV, Rn 822 m.w.N.). Es stellt sich aber auch im Bußgeldverfahren die Frage, ob der Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden kann/muss, wenn für den Betroffenen ein vertretungsberechtigter und -williger Verteidiger in der Hauptverhandlung anwesend ist. Die OLG-Rspr. hat die Übertragung der Grundsätze des Urteils des EGMR auf das Bußgeldverfahren und die Zulässigkeit der Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG abgelehnt (vgl. OLG Brandenburg NStZ 2014, 672; zfs 2014, 590 m. zust. Anm. Krenberger; OLG Dresden zfs 2014, 591; VRR 2014, 272 m. Anm. Deutscher; s. dazu auch Sitzer StraFo 2014, 1).
Hinweis:
Anders als bei § 329 Abs. 1 StPO hat das "Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe" (vgl. BGBl I, S. 1382; BT-Drucks 18/3562 u. 18/5254) im OWiG Änderungen bzw. Anpassungen an die Rspr. des EGMR nicht vorgenommen. Insbesondere ist § 74 Abs. 2 OWiG nicht geändert worden. Der Streit um die Umsetzung der Rechtsprechung des EGMR wird sich also fortsetzen.