a) Allgemeines
Die Entbindung von der Anwesenheitspflicht setzt gem. § 73 Abs. 2 OWiG voraus, dass eine Äußerung des Betroffenen zur Sache vorliegt oder dieser erklärt, dass er sich nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist (vgl. dazu Burhoff/Stephan/Niehaus, OWi, Rn 2578 ff.; Burhoff, EV, Rn 1393; Burhoff, HV, Rn 1389; eingehend auch Burhoff VRR 2007, 250; die Rspr.-Übersicht von Krenberger zfs 2012, 424 ff.; ders., zfs 2013, 364; Fromm DAR 2013, 368).
Hinweis:
Die Nichtentbindung von der Pflicht zum Erscheinen darf nicht dazu dienen, die – nach der Neuregelung des § 74 Abs. 2 OWiG dann ggf. zwingende – Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen "vorzubereiten".
b) Äußerung des Betroffenen zur Sache
Die Entbindung von der Anwesenheitspflicht setzt zunächst voraus, dass eine Äußerung des Betroffenen zur Sache vorliegt oder dieser erklärt, dass er sich nicht zur Sache äußern werde. Eine Äußerung des Betroffenen zur Sache i.S.d. § 73 Abs. 2 OWiG liegt dann vor, wenn eine im Vorverfahren abgegebene Äußerung des Betroffenen in der Hauptverhandlung verwertbar ist (vgl. dazu Göhler/Seitz/Bauer, § 73 Rn 6). Das hängt nicht davon ab, ob die bislang vom Betroffenen abgegebenen Erklärungen inhaltlich zur Sachaufklärung beitragen können. Die Frage nach der inhaltlichen Qualität einer vorliegenden Äußerung des Betroffenen ist zu unterscheiden von der Frage, ob die Anwesenheit des Betroffenen zur Sachaufklärung erforderlich ist (vgl. dazu unten II. 5. c). Also steht eine Erklärung, mit der der Betroffene Beweisergebnisse bezweifelt hat, der Entbindung nicht entgegen. Entsprechendes gilt für die Erklärung, er könne sich an den Vorfall nicht erinnern. Auch ein ggf. der Verwertung in der Hauptverhandlung an sich entgegenstehendes Beweisverwertungsverbot, z.B. weil der Betroffene nicht oder nicht ausreichend belehrt worden ist, wird – zumindest bei dem verteidigten Betroffenen – der Entbindung nicht entgegenstehen.
c) Anwesenheit des Betroffenen nicht erforderlich
Entscheidend für die Frage, ob der Betroffene von seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden kann/muss, ist weiter, ob von seiner Anwesenheit ein Aufklärungsbeitrag zu erwarten ist (OLG Bamberg NZV 2013, 612; vgl. auch die Rspr.-Nachw. bei Krenberger zfs 2012, 424, 426; ders., zfs 2013, 364 f.; Fromm DAR 2013, 368, 369 f.). Ist der Betroffene geständig, kann z.B. eine nicht erfolgende Entbindung allein schon deshalb unwirksam sein (BayObLG NStZ-RR 1996, 179; OLG Hamm NZV 1997, 90; OLG Frankfurt NStZ 1997, 39 [jew. zum alten Recht]), und zwar auch dann, wenn es um die Verhängung eines Fahrverbots geht (s. aber OLG Frankfurt NZV 2012, 193; zfs 2012, 291; OLG Koblenz zfs 2001, 476; OLG Oldenburg NStZ 2010, 458).
Hinweise:
Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und auch der Formulierung in § 73 Abs. 2 OWiG ("erforderlich ist") müssen konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Anwesenheit des Betroffenen zumindest Auswirkungen auf die Aufklärung des Sachverhalts hat (vgl. KG NStZ 2011, 584). Allein die theoretische Möglichkeit, dass der Betroffene seinen Entschluss zum Schweigen überdenkt, reicht nicht (OLG Düsseldorf zfs 2008, 594; VRR 2013, 158 m. Anm. Burhoff; VA 2016, 176; OLG Hamm DAR 2016, 595; OLG Köln NZV 2013, 50; OLG Naumburg zfs 2015, 534; OLG Stuttgart DAR 2004, 542; 2014, 100 m. Anm. Hillenbrand VRR 2014, 35).
Zu beachten ist, dass es bei der Beurteilung dieser Frage, ob von der Anwesenheit des Betroffenen ein Aufklärungsbeitrag zu erwarten ist, keinen Unterschied macht, ob eine Erklärung vom Betroffenen selbst oder von seinem mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger stammt (vgl. OLG Hamm StraFo 2004, 281 m.w.N.; LG Meiningen zfs 2006, 115; Göhler/Seitz/Bauer, § 74 Rn 11a).
Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 73 Abs. 2 OWiG a.F. (zur Frage der Zulässigkeit der Anordnung des persönlichen Erscheinens) musste von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ein Beitrag zur Aufklärung zumindest zu erwarten sein (BGHSt 38, 251, 255). Das soll auch nach der Neufassung noch gelten (Göhler/Seitz/Bauer, § 73 Rn 8). Insoweit reichen aber rein spekulative Überlegungen nicht aus (s. auch KG NStZ 2011, 584; OLG Naumburg StraFo 2007, 207; OLG Stuttgart DAR 2004, 542; OLG Rostock DAR 2003, 530; OLG Zweibrücken NZV 2000, 304; Schneider NZV 1999, 16), sondern es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung auf die Sachaufklärung Einfluss ausüben wird (so wohl auch Göhler/Seitz/Bauer, § 73 Rn 8). Zudem muss das Bestehen auf der Anwesenheit des Betroffenen verhältnismäßig sein (KG zfs 1999, 536), was bei weiterer Entfernung des Wohnorts des Betroffenen zum Gerichtsort eine Rolle spielen kann (s. auch Göhler/Seitz/Bauer, § 73 Rn 8; s. aber OLG Köln NJW 2002, 3791). Ergeben sich die erforderlichen Feststellungen aufgrund von Urkunden oder aus schriftlichen Auskünften des Betroffenen, dürfte seine Anwesenheit entbehrlich sein (KG zfs 1999, 536; OLG Karlsruhe zfs 1999, 538).
Rechtspre...