Nach § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG sind frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Nicht ausreichend ist die Einführung des Inhalts einer dienstlichen Äußerung eines Polizeibeamten, da es sich dabei nicht um eine schriftliche Erklärung des Betroffenen handelt. Entscheidend für die Einführung in die Hauptverhandlung ist, dass es sich um vom Betroffenen genehmigte Äußerungen handelt (so wohl auch Göhler/Seitz/Bauer, § 74 Rn 12). Auch die in einem Schriftsatz des Verteidigers vorgetragenen Angaben des Betroffenen können bekannt gegeben werden (OLG Frankfurt NJW 1993, 2129 [Ls.]; OLG Zweibrücken NZV 1994, 372).
Eine schriftliche, ggf. durch die Verteidigung weitergeleitete, Sacheinlassung des von der Erscheinenspflicht in der Hauptverhandlung entbundenen (abwesenden) Betroffenen ist auch dann zu berücksichtigen, wenn sie dem AG erst am Sitzungstag unmittelbar vor dem anberaumten Termin übermittelt wird. Darauf, ob die Sacheinlassung bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung dem Gericht vorgelegt wird oder ihr Inhalt tatsächlich zur Kenntnis des Gerichts gelangt ist, kommt es nicht an. Wird die Einlassung nicht berücksichtigt, liegt ein Gehörsverstoß vor (OLG Bamberg VRR 8/2018, 3 [Ls.]).
Vor der Hauptverhandlung schriftlich gestellte Beweisanträge sind nur Beweisanregungen, über die nicht gem. § 244 Abs. 3, 4, 6 StPO, sondern im Rahmen der Aufklärungspflicht zu befinden ist (Göhler/Seitz/Bauer, § 74 Rn 17a). Vor der Hauptverhandlung schriftsätzlich gestellte Anträge des Betroffenen müssen aber in einer Abwesenheitsverhandlung zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden (OLG Celle VRR 3/2017, 21). Dem Betroffenen unbekannte Beweismittel dürfen in seiner Abwesenheit nicht verwendet/verwertet werden (OLG Bamberg zfs 2014, 229 m. Anm. Krenberger; OLG Jena NStZ-RR 2010, 352; OLG Stuttgart zfs 2010, 48).
Das gilt z.B. für einen Computerberechnungsbogen (OLG Hamm NJW 1996, 534; VRS 93, 3599), für Lichtbilder (OLG Bamberg zfs 2014, 229 m. Anm. Krenberger), für eine Meldeauskunft (OLG Stuttgart DAR 2010, 590; zfs 2010, 48), für das Messprotokoll beim Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung (OLG Köln NJW 1996, 535), für eine PTB-Auskunft (OLG Düsseldorf zfs 2008, 535), für Zeugenaussagen, die weder dem Betroffenen noch seinem Verteidiger bekannt sind, auch wenn das Beweismittel im Bußgeldbescheid aufgeführt war (OLG Bamberg DAR 2011, 401; ähnlich OLG Stuttgart zfs 2010, 48).
Hinweis:
Beabsichtigt der Richter die Einführung und Verwertung von Beweismitteln, zu denen sich der Betroffene bisher noch nicht äußern konnte, muss er die Hauptverhandlung unterbrechen oder aussetzen und den Betroffenen und dessen Verteidiger entsprechend unterrichten (OLG Stuttgart a.a.O.).
Für die Vertretung des Betroffenen durch den Verteidiger gelten die Grundsätze, die zu den §§ 234, 411 Abs. 2 StPO entwickelt worden sind; es wird insoweit auf Burhoff, HV, Rn 3557 verwiesen. § 74 Abs. 1 S. 3 OWiG bestimmt ausdrücklich, dass ein nach § 265 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO erforderlicher Hinweis dem Verteidiger erteilt werden kann (zur Aussetzung der Hauptverhandlung u.a. OLG Naumburg VA 2016, 85). Hat der Verteidiger keine Vertretungsvollmacht i.S.d. § 73 Abs. 3 OWiG kann er den Betroffenen in der Abwesenheitsverhandlung nicht vertreten, d.h. er kann für diesen keine Erklärungen abgeben und entgegennehmen. Der mit der Verteidigung beauftragte Rechtsanwalt hat aber sämtliche ihm als Verteidiger zustehenden Befugnisse (vgl. KG, Beschl. v. 2.9.2015 – 3 Ws (B) 447/15; v. 2.3.2018 – 3 Ws (B) 71/18 unter Hinw. auf. BayObLG VRS 61, 39). Dazu gehört auch das Recht, in der Hauptverhandlung im eigenen Namen Anträge zu stellen (KG a.a.O.).