Entscheidend für die Frage, ob der Betroffene von seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden kann/muss, ist weiter, ob von seiner Anwesenheit ein Aufklärungsbeitrag zu erwarten ist (OLG Bamberg NZV 2013, 612; vgl. auch die Rspr.-Nachw. bei Krenberger zfs 2012, 424, 426; ders., zfs 2013, 364 f.; Fromm DAR 2013, 368, 369 f.). Ist der Betroffene geständig, kann z.B. eine nicht erfolgende Entbindung allein schon deshalb unwirksam sein (BayObLG NStZ-RR 1996, 179; OLG Hamm NZV 1997, 90; OLG Frankfurt NStZ 1997, 39 [jew. zum alten Recht]), und zwar auch dann, wenn es um die Verhängung eines Fahrverbots geht (s. aber OLG Frankfurt NZV 2012, 193; zfs 2012, 291; OLG Koblenz zfs 2001, 476; OLG Oldenburg NStZ 2010, 458).
Hinweise:
Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und auch der Formulierung in § 73 Abs. 2 OWiG ("erforderlich ist") müssen konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Anwesenheit des Betroffenen zumindest Auswirkungen auf die Aufklärung des Sachverhalts hat (vgl. KG NStZ 2011, 584). Allein die theoretische Möglichkeit, dass der Betroffene seinen Entschluss zum Schweigen überdenkt, reicht nicht (OLG Düsseldorf zfs 2008, 594; VRR 2013, 158 m. Anm. Burhoff; VA 2016, 176; OLG Hamm DAR 2016, 595; OLG Köln NZV 2013, 50; OLG Naumburg zfs 2015, 534; OLG Stuttgart DAR 2004, 542; 2014, 100 m. Anm. Hillenbrand VRR 2014, 35).
Zu beachten ist, dass es bei der Beurteilung dieser Frage, ob von der Anwesenheit des Betroffenen ein Aufklärungsbeitrag zu erwarten ist, keinen Unterschied macht, ob eine Erklärung vom Betroffenen selbst oder von seinem mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger stammt (vgl. OLG Hamm StraFo 2004, 281 m.w.N.; LG Meiningen zfs 2006, 115; Göhler/Seitz/Bauer, § 74 Rn 11a).
Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 73 Abs. 2 OWiG a.F. (zur Frage der Zulässigkeit der Anordnung des persönlichen Erscheinens) musste von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ein Beitrag zur Aufklärung zumindest zu erwarten sein (BGHSt 38, 251, 255). Das soll auch nach der Neufassung noch gelten (Göhler/Seitz/Bauer, § 73 Rn 8). Insoweit reichen aber rein spekulative Überlegungen nicht aus (s. auch KG NStZ 2011, 584; OLG Naumburg StraFo 2007, 207; OLG Stuttgart DAR 2004, 542; OLG Rostock DAR 2003, 530; OLG Zweibrücken NZV 2000, 304; Schneider NZV 1999, 16), sondern es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung auf die Sachaufklärung Einfluss ausüben wird (so wohl auch Göhler/Seitz/Bauer, § 73 Rn 8). Zudem muss das Bestehen auf der Anwesenheit des Betroffenen verhältnismäßig sein (KG zfs 1999, 536), was bei weiterer Entfernung des Wohnorts des Betroffenen zum Gerichtsort eine Rolle spielen kann (s. auch Göhler/Seitz/Bauer, § 73 Rn 8; s. aber OLG Köln NJW 2002, 3791). Ergeben sich die erforderlichen Feststellungen aufgrund von Urkunden oder aus schriftlichen Auskünften des Betroffenen, dürfte seine Anwesenheit entbehrlich sein (KG zfs 1999, 536; OLG Karlsruhe zfs 1999, 538).
Rechtsprechungsbeispiele, in denen eine Anwesenheit erforderlich ist:
- der Betroffene beruft sich auf ein "Augenblicksversagen" (OLG Jena zfs 2013, 174), auch wenn er erklärt, keine weiteren Angaben zur Sache machen zu wollen;
- die Identifizierung des Betroffenen ist in der Hauptverhandlung anhand von Lichtbildern oder durch Zeugenaussagen erforderlich (BGHSt 30, 172, 175 [zum alten Recht]; BayObLG StraFo 1998, 315; OLG Hamm NZV 2005, 386; OLG Zweibrücken NZV 2011, 97, ähnlich aber zweifelhaft OLG Düsseldorf VRR 2012, 233 (für einen Verstoß gegen das Verbot der Benutzung des Mobiltelefons im Straßenverkehr; s. auch oben);
- der Betroffene bestreitet lediglich, nicht Fahrer des Pkw gewesen zu sein, da ein bloßes Nichtbestreiten kein Geständnis darstellt und keine hinreichende Tatsachengrundlage für die richterliche Überzeugungsbildung bildet (OLG Düsseldorf VRR 2007, 192 [m.E. zweifelhaft]; ähnlich OLG Brandenburg NStZ 2014, 672; zutreffende a.A. OLG Hamm, Beschl. v. 1.7.2008 – 5 Ss OWi 415/08);
- die näheren Umstände, die für die Verhängung eines Fahrverbots von Bedeutung sind, müssen/sollen aufgeklärt werden (OLG Karlsruhe zfs 2001, 476; OLG Oldenburg NStZ 2010, 458; Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O.; s. aber OLG Frankfurt NZV 2012, 193; zfs 2012, 291; OLG Koblenz zfs 2001, 476);
- der Betroffene hat zwar angeregt, das Fahrverbot aus beruflichen Gründen entfallen zu lassen, seine Angaben hierzu sind aber unzureichend und er hat nicht unmissverständlich klargestellt, auch hierzu keine weiteren Angaben machen zu wollen (OLG Oldenburg NStZ 2010, 458);
- der Verteidiger teilt lediglich mit, dass er das Erscheinen des Betroffenen für entbehrlich halte, da das Verfahren seines Erachtens auch ohne mündliche Verhandlung im Rahmen einer Einstellung erledigt werden könne (OLG Hamm VA 2010, 17);
- die bloße physische Präsenz des berechtigterweise schweigenden Betroffenen dient zur weiteren Sachaufklärung, z.B. um die Erinnerung eines Zeugen aufzufrischen (OLG Bamberg VA 2015, 1...