Erscheint der Verteidiger des persönlich geladenen Betroffenen im Termin, kann der Einspruch vom AG dennoch verworfen werden, da – anders als im Fall des § 412 StPO – der Betroffene, dessen Entbindungsantrag abgelehnt worden ist, sich nicht vertreten lassen kann (§ 73 Abs. 3 OWiG; Göhler/Seitz/Bauer, § 74 Rn 33). Der Verteidiger kann aber noch zu Beginn der Hauptverhandlung den Antrag stellen, den Betroffenen jetzt noch vom persönlichen Erscheinen zu entbinden, etwa weil die Ablehnung des Antrags im Vorverfahren unzulässig war (st. Rspr. aller OLG: KG NZV 2017, 290; zfs 2015, 468 m. Anm. Krenberger; VRR 2007, 116; 2014, 435; VA 2017, 50; OLG Bamberg StraFo 2014, 467; zfs 2015, 50; OLG Brandenburg zfs 2004, 235; OLG Celle StraFo 2009, 340; OLG Düsseldorf VRR 2012, 82 [Ls.]; OLG Hamm StraFo 2006, 425; OLG Jena, Beschl. v. 30.6.2009 – 1 Ss 78/09; OLG Naumburg zfs 2002, 251 [Vorlage an den BGH]; zfs 2002, 595; OLG Köln NStZ-RR 2002, 114; NStZ 2002, 268; OLG Zweibrücken zfs 2011, 708; Burhoff/Stephan/Niehaus, OWi, Rn 2422 m.w.N.; Burhoff, HV, Rn 1389 ff.; Burhoff VRR 2007, 250, 252; a.A. immer noch Göhler/Seitz/Bauer, § 73 Rn 4; offengelassen vom BGH NStZ 2004, 21 [Ls.], der die Vorlage des OLG Naumburg [a.a.O.] als unzulässig angesehen hat). Denn wenn kurzfristig eingegangene Entschuldigungen bei der Verwerfung zu berücksichtigen sind (vgl. dazu Göhler/Seitz/Bauer, § 74 Rn 31) und der Verteidiger bei unentschuldigtem Ausbleiben des Betroffenen auf dessen Anwesenheit verzichten können soll (so Göhler/Seitz/Bauer, § 73 Rn 4), besteht kein Grund, die für einen (kurzfristigen) Entbindungsantrag – noch in der Hauptverhandlung – vorgetragenen Umstände jetzt ebenfalls nicht noch im Rahmen der Entscheidung über einen Entbindungsantrag zu berücksichtigen. Dieser empfiehlt sich besonders, wenn der Betroffene ausbleibt und der Verteidiger damit rechnet, dass er sein Ausbleiben ggf. nicht genügend entschuldigen kann. Lehnt das Gericht den Antrag durch Beschluss ab, kann es anschließend aber sogleich den Einspruch verwerfen (OLG Hamm VRS 49, 207).
Der Verteidiger kann den Entbindungsantrag in der Hauptverhandlung aber nur stellen, wenn er eine über die Verteidigervollmacht hinausgehende (schriftliche) Vertretungsvollmacht hat (u.a. KG VRR 2014, 435; OLG Bamberg DAR 2011, 401; StraFo 2014, 467; OLG Köln NJW 2002, 3791; NStZ 2002, 268; OLG Hamm zfs 2004, 42; 2015, 52; OLG Zweibrücken zfs 2011, 708; weitere Nachweise aus der Rspr. s. oben unter II. 4.). Allerdings umfasst die (allgemeine) Vollmacht, den Betroffenen vertreten zu dürfen, auch die Ermächtigung zur Stellung eines Entbindungsantrags (OLG Köln a.a.O.). Es reicht aus, wenn die Vollmacht in Form einer Telefaxkopie vorliegt (OLG Hamm a.a.O.). Die Erteilung der umfassenden Vertretungsvollmacht bedarf i.Ü. keiner besonderen Form und kann auch mündlich erteilt werden. In ihr kann – nach der früheren Rspr. – zugleich die Ermächtigung enthalten sein, eine etwa erforderliche Vollmachtsurkunde im Namen des Vollmachtgebers zu unterzeichnen (vgl. BayObLG NStZ 2002, 277; KG StRR 2014, 38; OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.2.2015 – (1 Z) 53 Ss-OWi 619/14 (351/14); OLG Celle, Beschl. v. 20.1.2014 – 322 SsRs 24/13; OLG Dresden StRR 2013, 261 m. Anm. Reichling). Ist der (Wahl-)Verteidiger vertretungsberechtigt und erteilt er einem anderen Rechtsanwalt Untervollmacht, bedarf diese nicht der Schriftform (s. BayObLG VRS 81, 34 m.w.N.; für das Bußgeldverfahren OLG Celle VRR 2011, 116 m. Anm. Burhoff).
Hinweis:
Da an diesen Grundsätzen nach der Neuregelung in § 329 StPO für das strafrechtliche Berufungsverfahren nicht mehr festgehalten wird (vgl. Burhoff, HV, Rn 825), sollte der Verteidiger auch im Bußgeldverfahren nach Möglichkeit eine vom Betroffenen unterzeichnete Vertretungsvollmacht vorlegen (können).
Auf die Formulierung der Vertretungsvollmacht ist besondere Sorgfalt zu verwenden. Insbesondere ist darauf zu achten, dass ggf. nicht nur eine Vertretungsvollmacht für das Strafverfahren, sondern auch für das Bußgeldverfahren erteilt wird (vgl. dazu OLG Bamberg NJW 2007, 1477 [Ls.]; VRR 2011, 472; OLG Hamm StraFo 2006, 425; Burhoff, EV, Rn 4048 4070; Spitzer StV 2016, 48 f.). Nach Auffassung einiger OLG gilt eine ausdrücklich für das Strafverfahren erteilte Vollmacht auch nicht ohne Weiteres in einem nachfolgenden Bußgeldverfahren (OLG Brandenburg StRR 2009, 261, OLG Zweibrücken NStZ-RR 2016, 183).