1. Allgemeine Lebenserfahrung und Beweiswürdigung
Die richterliche Beweiswürdigung weist viele Facetten auf. Der Bogen spannt sich von der Würdigung einzelner Beweismittel bis hin zum Anscheinsbeweis. Das BVerwG widmet sich in seinem Beschluss vom 31.1.2018 (9 B 11.17) der allgemeinen Lebenserfahrung und ordnet diese in das Spektrum möglicher Beweiswürdigung ein. Danach beschreibt der Topos der allgemeinen Lebenserfahrung die Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachen einschließlich ihrer Ursachen- und Wirkungszusammenhänge. Diese Wahrscheinlichkeit könne sich so stark verdichten, dass Erfahrungssätze nicht nur auf eine bestimmte Tatsachenfeststellung hinführten, sondern – wenngleich sie weder zu einer Umkehr der Beweislast führten noch das Gericht von der Pflicht zur Amtsermittlung entbänden – selbst zum Maßstab richterlicher Überzeugung würden. Die allgemeine Lebenserfahrung sei mit dem typischen Geschehensablauf identisch.
2. Einreichung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht
Nicht selten kommt es in der gerichtlichen Praxis vor, dass eine fristgebundene Klage oder ein Rechtsmittel beim unzuständigen Gericht eingereicht wird. Die Einreichung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht wahrt nicht die Fristen im Rechtsmittelverfahren. Dieses ist nicht verpflichtet, die Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten auf seine Unzuständigkeit hinzuweisen. Jedoch hat das Gericht jedenfalls dann, wenn es bereits mit der Sache befasst war, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Einen hinreichenden zeitlichen Abstand zwischen der Einlegung des Rechtsmittels und dem Ablauf der Rechtsmittelfrist vorausgesetzt, darf die Partei nicht nur auf die Weiterleitung des Schriftsatzes, sondern auch darauf vertrauen, dass dieser noch fristgerecht beim zuständigen Gericht eingeht (vgl. BVerfGE 93, 99, 115; BVerfG NJW 2005, 2137, 2138). Diese Grundsätze gelten nicht nur im Zivil-, sondern auch im Verwaltungsprozess (vgl. BVerfG NVwZ 2003, 728, 729; a.A. zuvor OVG Greifswald NVwZ 1999, 201; offen gelassen von OVG Hamburg NJW 1998, 696), und zwar auch dann, wenn die Rechtsmittelbelehrung ordnungsgemäß erfolgte.
Das BVerwG nimmt in seinem Beschluss vom 30.1.2018 (9 B 20.17, NJW 2018, 1272 f. = BWV 2018, 134 f. = BayVBl 2018, 567 f.) an, dass bei einem Verstoß gegen die vorbezeichnete Weiterleitungspflicht sich nicht automatisch die Unbeachtlichkeit der fehlenden Einlegung des Rechtsmittels ergebe. Allerdings sei Folge einer Verletzung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens, dass dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 60 VwGO zu gewähren sei.
3. Unangemessene Verfahrensdauer bei Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO
Die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens findet ihre Grenze in der zeitlichen Unangemessenheit. Für diesen Fall sieht § 198 Abs. 1 GVG einen Anspruch gegen den Staat vor. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist bei der Frage, ob die Verfahrensdauer unangemessen i.S.d. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG ist, vor allem auch zu prüfen ist, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (vgl. BVerwGE 147, 146 Rn 37; 156, 229 Rn 135 m.w.N.). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht – auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) – ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie – auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums – sachlich nicht mehr gerechtfertigt sind (vgl. BVerwGE 147, 146 Rn 42; BVerwG NJW 2016, 3464 Rn 15, jeweils m.w.N.).
Die Gestaltungsfreiheit umfasst nach dem Beschluss des BVerwG vom 12.3.2018 (5 B 26.17 D) auch die Befugnis, mit Blick auf einen parallel anhängigen Rechtsstreit, der für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von rechtlicher Relevanz ist, dieses zeitweise "faktisch", d.h. ohne förmliche Anordnung nach § 94 VwGO auszusetzen. Erweise sich eine solche Verfahrensweise bei Zugrundelegung einer objektivierenden Betrachtung als vertretbar, könne etwa die mit der Bearbeitung oder Förderung eines Leitverfahrens korrespondierende Zeit der faktischen Aussetzung bei der Bewertung der angemessenen Dauer des parallel anhängigen Ausgangsverfahrens nicht zu Lasten des Staates gehen. Es dränge sich auf, dass dies für den Fall einer "förmlichen" Aussetzung nach § 94 VwGO entsprechend gelte.
Hinweis:
Die Aussetzung des Verfahrens ist nicht schon deshalb unvertretbar, weil die Beteiligten dem nicht zugestimmt oder widersprochen haben.