Hier ergeben sich mehrere Fragenkreise:
- Verhältnis von Selbsthilferecht und Beseitigungsanspruch gegen den Nachbarn,
- Kostenersatz,
- Überlagerung privatrechtlicher Ausgleichs- und Beseitigungsansprüche durch öffentlich-rechtliche Baumschutzsatzungen und Landschaftsschutzrecht,
- Grenzabstände nach den Landesnachbargesetzen.
Stehen Bäume und Sträucher an der Grenze des Grundstücks oder dicht daneben, so ragen ihre Äste und Zweige häufig in den Luftraum des benachbarten Grundstücks hinein. Ihre Wurzeln dringen in den Bodenbereich des Nachbargrundstücks ein.
§ 910 BGB sieht ein Selbsthilferecht des Nachbarn vor. Beeinträchtigen die eindringenden Wurzeln und herüberragenden Zweige und Äste die Benutzung des Nachbargrundstücks, so kann dessen Eigentümer sie abschneiden und behalten. Die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks ist aber Voraussetzung für dieses Selbsthilferecht (OLG Hamburg Hamburger GE 1992, 375; LG Hannover ZMR 1990, 344). Sie muss von dem überhängenden Zweig selbst ausgehen und darf sich nicht als nur mittelbare Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks in Form von Laub- oder Nadelbefall darstellen (LG Krefeld, Urt. v. 20.4.2018 – 1 S 48/17, ZMR 2018, 818; Revision ist eingelegt worden: BGH, V ZR 102/18). Das Recht verjährt nicht, denn einer Verjährung unterliegen nur Ansprüche (§ 194 Abs. 2 BGB; vgl. LG Krefeld, a.a.O.).
Wurzeln können jederzeit ohne Weiteres abgeschnitten werden. Maßnahmen, die nach dem Abschneiden der Wurzeln erforderlich sind, um den Baum vor Folgeschäden zu bewahren, obliegen dem Eigentümer des Baums, nicht dem Selbsthilfeberechtigten. Der Selbsthilfeberechtigte kann verpflichtet sein, den Eigentümer des Baums vor dem Abschneiden der Wurzeln zu unterrichten. Unterlässt er dies, kann er schadenersatzpflichtig sein. Ist streitig, ob eine Unterrichtung erfolgt ist, trifft die Beweislast für die fehlende Unterrichtung den Eigentümer des Baums (OLG Köln VersR 1995, 665 = ZMR 1993, 567).
Zweige kann der Eigentümer des Nachbargrundstücks erst nach angemessener Fristsetzung zur Beseitigung entfernen, wenn der Eigentümer des Strauchs oder Baums in dieser Frist nicht selbst gehandelt hat.
Der Nachbar darf nicht zur Unzeit von seinem Selbsthilferecht Gebrauch machen. Auf Wachstumsperioden der Pflanzen hat er zu achten. So kann es das Landschaftsschutzrecht verbieten, in der Zeit vom 1.3. bis zum 30.9. Hecken, Wallhecken, Gebüsche sowie Röhricht- und Schilfbestände zu roden, abzuschneiden oder zu zerstören (OLG Hamm NVwZ-RR 1993, 290).
Zweige dürfen nur an der Stelle abgeschnitten werden, wo sie die Grundstücksgrenze überschreiten. Sie dürfen nicht bereits am Stamm des Baums gekappt werden, wenn dieser neben der Grenze auf dem Grundstück des Baumeigentümers steht. Erst recht ist das völlige Abschneiden einer Hecke auf dem Nachbargrundstück rechtswidrig und zieht Schadenersatzansprüche des Nachbarn gem. § 823 BGB nach sich. Der deliktische Anspruch umfasst die Kosten einer Neuanpflanzung der gerodeten Teile einschließlich der Kosten notwendiger Ausgrabungen der abgeschnittenen Wurzelstücke sowie die Wertdifferenz zwischen der Neuanpflanzung von Stecklingen zum Wert der vormals existierenden Hecke (OLG Brandenburg, Urt. v. 6.2.2013 – 7 U 191/09, juris; zur Berechnung des Schadens nach der "Methode Koch" auch bei Teilschädigungen von Gehölzen: BGH, Urt. v. 25.1.2013 – V ZR 222/12, NZM 2013, 282; BGH, Urt. v. 27.1.2006 – V ZR 46/05, NJW 2006, 1424; zu Einzelheiten der Methode Koch vgl. Koch, Aktualisierte Gebührentabelle, 3. Aufl. 2001; Breloer, Der Sachverständige, 2005; zur Berechnung des Schadenersatzes nach unbefugtem Beschnitt alter Bäume durch den Grundstücksnachbarn vgl. LG Bielefeld, Urt. v. 14.5.1991 – 23 O 186/90, NJW-RR 1992, 26).
aa) § 1004 BGB: Selbsthilferecht, Beseitigungsanspruch
Neben dem Selbsthilferecht steht dem Nachbarn auch das Recht zu, vom Baumeigentümer gem. § 1004 BGB das Abschneiden störender Zweige und Wurzeln zu verlangen. Beide Ansprüche sind ohne Vorrang nebeneinander gegeben (BGH NJW 1973, 703; BGH DWW 1986, 239; zur Verjährung des Rückschnittanspruchs: BGH, Urt. v. 22.2.2019 – V ZR 136/18; zum Anspruch auf Kappen der Nachbarhecke: BGH, Urt. v. 8.12.2017 – V ZR 16/17, NZM 2018, 239; zum Anspruch auf Rückschnitt einer Grenzbepflanzung eines tiefer liegenden Nachbargrundstücks: BGH, Urt. v. 2.6.2017 – V ZR 230/16, ZMR 2017, 945; zu den besonderen Schadensrisiken beim Rückschnitt alter Nachbarbäume: OLG Brandenburg, Urt. v. 8.2.2018 – 5 U 109/16, IMR 2018, 473 = NZM 2018, 519; zum Anspruch auf "vorsorglichen" Rückschnitt einer Grenzbepflanzung vor der Wachstumsperiode: LG Freiburg, Urt. v. 7.12.2017 – 3 S 171/16, NZM 2018, 249; zum vorbeugenden Beseitigungsanspruch gegen die Gemeinde als Baumeigentümer wegen Befürchtung zukünftiger Schäden durch das Wurzelwerk des Baums: VG Ansbach, Urt. v. 29.11.2017 – AN 9 K 16.01056, juris).
Streitig ist, ob Ansprüche auf Kostenersatz bestehen, die für die Beseitigung im Rahmen eines Selbsthilferechts entstanden sind (dafür: BGH NJW 1973, 703, 705; BGH DWW 1986, 239; dagegen: LG Hannover NJW-...