I. Abgabenrecht
1. Kammerbeiträge zur IHK trotz Insolvenzverfahrens
Wird eine Kapitalgesellschaft mit ihrem Gewerbebetrieb abgemeldet und eröffnet das Amtsgericht mit der Einsetzung eines Insolvenzverwalters das Insolvenzverfahren über das Vermögen, stellt sich die Frage, ob gleichwohl noch Beitragsforderungen durch die Industrie- und Handelskammer erhoben werden dürfen. Maßgeblich ist dabei die Rechtsbeziehung zwischen Gewerbesteuerpflicht und Kammerbeitrag.
Hinweis:
Wird der Insolvenzschuldner im Beitragsjahr i.S.d. § 2 Abs. 1 IHKG zur Gewerbesteuer veranlagt, begründet das die Kammerzugehörigkeit.
Das BVerwG stellt in seinem Urt. v. 11.3.2020 (8 C 17/19) heraus, dass für die Kammerzugehörigkeit allein die dem Grunde nach bestehende Gewerbesteuerpflicht maßgeblich sei, der der Insolvenzschuldner als Kapitalgesellschaft (vgl. §§ 5a, 13 Abs. 1 GmbHG) im Beitragsjahr unterlegen habe, auch wenn er nicht tatsächlich zur Zahlung von Gewerbesteuer herangezogen worden sei. § 2 Abs. 1 IHKG knüpfe an die objektive Gewerbesteuerpflicht an und stelle nicht auf den Umfang der Gewerbesteuerpflicht ab. Die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft gelte nach § 2 Abs. 2 S.1 i.V.m. Abs. 1 S. 1 Gewerbesteuergesetz (GewStG) stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb und unterliege damit der Gewerbesteuer. Ob ein Unternehmen tatsächlich zur Zahlung dieser Steuer herangezogen werde, wirke sich auf die Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer nicht aus.
Hinweis:
Anders als bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften endet die Gewerbesteuerpflicht einer Kapitalgesellschaft erst, wenn diese jegliche Tätigkeit einstellt, also nicht nur die eigentliche (werbende) Tätigkeit, sondern auch die Verwertungstätigkeit i.R.d. Abwicklung, die ihrerseits mit der letzten Abwicklungshandlung endet. Das ist grds. der Zeitpunkt, in dem das Vermögen der Gesellschaft verteilt worden ist (vgl. BFH, Urt. v. 29.11.2000 – I R 28/00, juris Rn 8 f. und Beschl. v. 25.9.2012 – I B 29/12, juris Rn 8 f.).
2. Rechtsverletzung nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO bei zu niedrigem Beitragssatz
Typischerweise sind Streitigkeiten im Abgabenrecht dadurch geprägt, dass der Abgabenschuldner sich gegen aus seiner Sicht zu hohe Abgaben wendet. Es stellt sich umgekehrt die Frage, ob der Abgabenschuldner erfolgreich eine Anfechtungsklage erheben kann, wenn der Verwaltungsakt allein deshalb rechtswidrig ist, weil eine ihm zugrunde liegende Abgabensatzung einen zu niedrigen Beitragssatz enthält und die Satzung allein deshalb als rechtswidrig und nichtig beurteilt wird.
§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO geht von der Pflicht zur Aufhebung des rechtswidrigen und den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzenden Verwaltungsakts aus. Ist eine Satzung nichtig und damit unwirksam, so schlägt dies auf den auf ihrer Grundlage erlassenen Verwaltungsakt mit der Folge seiner Rechtswidrigkeit durch. Einen Spielraum hinsichtlich der daraus zu ziehenden Folgen sieht § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO in solchen Fällen nicht vor. Er ordnet vielmehr die Aufhebung des auf Grundlage der nichtigen Satzung erlassenen Verwaltungsakts an (BVerwG Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 273 S. 7 f. und Urt. v. 27.11.2019 – 9 C 4.19, juris Rn 20). Dies gilt auch dann, wenn eine Beitragssatzung allein deshalb rechtswidrig und nichtig ist, weil sie einen zu niedrigen Beitragssatz enthält. Denn das allen Beitragspflichtigen gleichermaßen zustehende Recht, nicht rechtswidrig zu Beiträgen herangezogen zu werden (BVerwG NVwZ 2019, 1522 Rn 34), ist auch in solchen Fällen verletzt.
Das BVerwG geht in seinem Beschl. v. 14.4.2020 (9 B 4/19) davon aus, dass der Beitragsbescheid das Recht verletze, nicht rechtswidrig zu Beiträgen herangezogen zu werden. Er sei unabhängig davon, auf welchen Regelungen die Satzungsnichtigkeit beruhe, mangels einer Grundlage in einer wirksamen Satzung rechtswidrig. Nach der aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten Adressatentheorie sei der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts nicht nur nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Vielmehr sei ein solcher Verwaltungsakt hiermit korrespondierend auch regelmäßig nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufzuheben, wenn er sich als rechtswidrig erweise und deshalb durch die Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt sei.
Hinweis:
Eine Rechtsverletzung i.S.d. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO ist allerdings nicht gegeben, wenn sich aus dem anzuwendenden einfachen Recht ergibt, dass eine bestimmte materiell- oder verfahrensrechtliche Anforderung, die der Verwaltungsakt verfehlt, ausschließlich dem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt ist. Denn der Verwaltungsakt ist dann lediglich objektiv rechtswidrig, verletzt aber nicht ein subjektives, dem Einzelnen zustehendes Recht i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO (BVerwG, Beschl. v. 12.3.1998 – 11 B 2.98, juris Rn 4 und Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 14 Rn 4).
Eine Ausnahme von der Annahme der Rechtsverletzung komme in Fällen der vorliegenden Art nicht in Betracht. Die gesetzliche Vorgabe, wonach kommunale Abgaben nur aufgrund einer Satzung erhoben werden dürften, diene nicht nur dem öffentlichen Interesse an der Deckung des Aufwands für die Herstellung öffentlicher Einrichtungen, sondern auch dem Individualinter...