Die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ist nach einem neuen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht mit europäischem Recht vereinbar. Eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten stehe dem Unionsrecht entgegen; eine Ausnahme gelte nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit oder der Bekämpfung schwerer Kriminalität, entschieden die Richter in Luxemburg (EuGH, Urt. v. 20.9.2022 – C-793/19 u. C-794/19).
Vorgelegt hatte dem EuGH die Rechtsfragen das deutsche Bundesverwaltungsgericht. Dieses hat derzeit einen Rechtsstreit der Bundesnetzagentur mit den Internetprovidern SpaceNet und Telekom zu entscheiden. Letztere wehren sich gegen dieâEUR™Speicherpflicht im Telekommunikationsgesetz (TKG). Die Bundesnetzagentur hatte die Anwendung dieser Regelung bereits 2017 ausgesetzt, nachdem das OVG Nordrhein-Westfalen entschieden hatte, dass die deutsche Regelung zur Speicherung der Daten nicht EU-rechtskonform ist.
Mit seiner aktuellen Entscheidung bestätigt der EuGH seine in früheren Urteilen zu ähnlich gelagerten Sachverhalten in anderen EU-Staaten ausgearbeitete Linie, dass das Unionsrecht eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten nicht erlaubt. Ausnahmen seien aber in sehr eng begrenzten Fällen zulässig, etwa wenn es um die nationale Sicherheit oder um die Bekämpfung schwerer Kriminalität gehe. Für die Eingriffsbefugnisse, wie sie das deutsche TKG mit seiner umfangreichen Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehe, bedürfe es einer "besonderen Rechtfertigung", formulierten die Luxemburger Richter. Im Ergebnis bedeutet dies, dass das TKG den EU-Vorgaben nicht gerecht wird undâEUR™es einer Neuregelung durch den Bundestag bedarf.
Die Fälle gehen nun erst einmal zurück an das BVerwG, das aber nur die beiden konkreten Rechtsstreite entscheiden wird. Für die Polizei und die Staatsanwaltschaften ändert der Spruch aus Luxemburg Beobachtern zufolge erst einmal nichts, denn die derzeitigen TKG-Regelungen liegen ohnehin "auf Eis". Das Problem einer ausgewogenen und EU-rechtskonformen Datenspeicherung liegt also beim Gesetzgeber. Bundesjustizminister Marco Buschmann hat bereits angekündigt, in Kürze einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Anwendung des von ihm bevorzugten Quick-Freeze-Verfahrens auf richterliche Anordnung vorsieht. Kommentatoren bezweifeln jedoch, dass sein Vorhaben im ersten Anlauf Erfolg haben kann, denn zu stark scheint der Widerstand insb. von Innenpolitikern, die – mit Blick auf terroristische Bedrohungen und die Bekämpfung von Kindesmissbrauch – sämtliche Spielräume, die das EuGH-Urteil eröffnet, unbedingt ausnutzen wollen.
[Red.]