1. Einleitung
Die bis zum 30.6.2022 geltende Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale Vertriebsbindungen (EU-VO 330/2010) war die Richtlinie für die Gestaltung von Franchise-Verträgen und wurde daher nicht umsonst als safe harbor für Vertriebsvereinbarungen bezeichnet (so ausdrücklich: Rohrssen, a.a.O., 293; grds. zur derzeitigen Vertikal-GVO: Petsche/Lager in: Liebscher/Flohr/Petsche, Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2. Aufl. 2012, § 7, S. 163 ff.).
Diese Vertikal-GVO, aber auch die erste Vertikal-GVO (EU-VO 2790/90) sowie die vorangegangene EU-GVO für Franchise-Vereinbarungen (EU-VO 4087/88) waren und sind das Herzstück vertikaler Vereinbarungen zwischen Anbietern von Waren und Dienstleistungen und deren Absatzmittlern und damit auch das Herzstück kartellrechtlicher Fragen des Franchise-Rechts und solche bei der Gestaltung eines Franchise-Vertrags. Insofern kommt dem EU-Kartellrecht für die vertriebsvertragliche Praxis des Franchising erhebliche Bedeutung zu, worauf Martinek (in: Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 4. Aufl. 2016, § 31 Rn 17 mit umfassender Darstellung der Entwicklung des EU-Kartellrechts für Franchise-Verträge; s. auch zur historischen Bedeutung der Gruppenfreistellungsverordnungen für Franchise-Verträge Flohr in: Liebscher/Flohr/Petsche, a.a.O., § 14 Rn 1 ff.) zu Recht hinweist.
2. Vertikal-GVO ab 1.6.2022
a) Unveränderte Struktur der Vertikal-GVO
Wer nun geglaubt hat, dass die seit dem 1.6.2022 geltende EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsbindungen (EU-VO 720/2022) wesentliche Änderungen für Franchise-Verträge mit sich bringt, sieht sich „enttäuscht”.
Bei Franchise-Verträgen bleibt dem Grunde nach „alles beim Alten”. Artikel 2 III Vertikal-GVO stellt klar, dass Franchise-Verträge – wie bisher – grds. auch durch die Vertikal-GVO vom Kartellverbot des Art. 101 AEUV freigestellt sein können. Dies betrifft insb. die eingeräumten Franchise-Rechte an Schutzrechten, insb. Marken sowie des geheimen Know-hows des Franchise-Systems.
Insofern bleibt es für Franchise-Verträge bereits bei der vom EuGH in seinem Urt. v. 21.1.1986 (Rs. 161/84 – Pronuptia) getroffenen Feststellung, dass „unerlässliche” Regelungen vertragsimmanent und daher kartellrechtlich unbedenklich sind, weil das Vertriebsmodell des Franchising einheitliche Produkte und ein einheitliches Auftreten am Markt voraussetzt (so auch ausdrücklich: Rohrssen, a.a.O., 296 unter Ziff. 5.; s.a. Uhlig/Walzel ZVertriebsR 2022, 80 [151, 274]).
b) Inhaltliche Änderungen
Soweit es um inhaltliche Änderungen gegenüber der bis zum 30.6.2022 geltenden Vertikal-GVO (EU-VO 330/2010) geht, halten diese sich in der neuen Vertikal-GVO in Grenzen.
Betroffen davon sind:
- Wettbewerbsverbote
- Alleinvertrieb
- Selektiver Vertrieb
- Freier Vertrieb
- Online-Vertrieb/Handelsplattformen
- Dualer Vertrieb
Dabei sind für Franchise-Systeme insb. die Änderungen zum Informationsaustausch beim Dualen Vertrieb, Online-Vertrieb und beim Wettbewerbsverbot von grundsätzlicher Bedeutung.
Zwar könnte man meinen, ein Franchise-Vertrag sei trotz Art. 2 III Vertikal-GVO als eine Vereinbarung zwischen Wettbewerbern Franchise-Geber/Franchise-Nehmer nicht von der Vertikal-GVO freigestellt, doch liegen bei Franchise-Systemen grds. auch die Voraussetzungen von Art. 2 IV 2 Vertikal-GVO vor, da Franchise-Geber i.d.R. zumindest in einem „flagship-store” auch die Produkte des Franchise-Systems absetzen, sodass:
- ein dualer Vertrieb vorliegt, d.h. neben dem Franchise-Nehmer auch der Franchise-Geber die Produkte/Dienstleistungen gegenüber Endverbrauchern erbringt (z.B. Online-/eigene Shops) und
- der Marktanteil auf dem Einzelhandelsmarkt nicht mehr als 30 % beträgt.
Insofern ergibt sich auch insoweit keine Änderung gegenüber der bisherigen Vertikal-GVO.
3. Einzelregelungen des Franchise-Vertrags
Dies bedeutet, dass bei Franchise-Verträgen
- nach wie vor eine Bezugsbindung für die Produkte des Franchise-Systems vereinbart werden kann;
- dass Belieferungen von Franchise-Nehmern untereinander zulässig sein müssen, aber Querlieferungen des Franchise-Nehmers außerhalb des Franchise-Systems dem Franchise-Nehmer verboten werden können;
- unverbindliche Verkaufspreisempfehlungen ausgesprochen werden können;
- aber die Preisbindung innerhalb des Franchise-Systems EU-kartellrechtswidrig ist und bleibt, also insofern ein Verstoß gegen eine Hardcore Restriction vorliegt;
- bei Marketing- und Verkaufsförderungsaktionen, aber auch der Einführung neuer Produkte die Verkaufspreise dem Franchise-Nehmer vorgegeben werden können, jedoch vorausgesetzt, dass diese Verkaufsförderungsaktionen als kurzfristige Werbeaktion zur Markteinführung neuer Produkte oder zum Absatz von Sonderprodukten anzusehen ist, die koordinierte kurzfristige Verkaufsveranstaltung sich auf einen Zeitraum von vier Wochen erstreckt und ansonsten die Preishoheit des Franchise-Nehmers unangetastet bleibt.
Insofern hat sich durch die neue Vertikal-GVO (EU-VO 720/2022) für die inhaltliche Gestaltung eines Franchise-Vertrags gegenüber dem Rechtszustand bis zum 31.5.2022 nichts geändert.
4. Preisüberwachung
Durch die neue Vertikal-GVO (EU-VO 720/2022) wird daher klargestellt, dass Preisvor...