a) Sachverhalt (OLG Rostock ZErb 2023, 349 ff.)
Die Erblasser waren in zweiter Ehe miteinander verheiratet. Der Erblasser war im Jahre 2012 vorverstorben. Die Erblasserin ist im Jahre 2019 verstorben. Aus der jeweiligen ersten Ehe der Erblasser gingen drei Kinder hervor. Die zweite Ehe blieb kinderlos. Die Erblasser errichteten im Jahre 1994 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich für den ersten Erbfall gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Im Weiteren enthielt das Testament für den Fall, dass die Eheleute gleichzeitig versterben, folgende Formulierung:
Zitat
„(...) Im Falle eines gleichzeitigen Ablebens soll die Tochter U. S. geb. B. z. zt. wohnhaft in R., E. W.-str. bevollmächtigt im Namen aller nachstehend angeführten Erben über alle unsere Giro- und Sparkonten verfügen und nach Abrechnung aller angefallenen Kosten für die Bestattung das verbleibende Geld gleichmäßig an alle Geschwister aus beiden Vorehen verteilen. (...).”
Dieser Verfügung folgte eine Aufzählung der „Geschwister” unter der Angabe der Wohnanschriften. Nach dem Tod der Erblasserin beantragte ihre Tochter aus der ersten Ehe einen Erbschein, der die drei Abkömmlinge der Erblasserin aus erster Ehe mit einer gesetzlichen Erbquote ausweisen sollte. Einer der Abkömmlinge des Erblassers widersprach dem Erbscheinsantrag mit der Begründung, dass die Eheleute mit der o.g. Formulierung auch die Antragsgegnerin für den zweiten Erbfall als Miterbin eingesetzt hätten.
b) Entscheidung
Das zuständige Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Tochter der Erblasserin zurückgewiesen. Der eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen. Das Oberlandesgericht Rostock gab der Beschwerde statt und hob die Entscheidung des Nachlassgerichts auf. Das OLG stand hier vor der Frage, ob die in einem Berliner Testament häufig getroffene Formulierung des gleichzeitigen Versterbens auch ein Versterben der Eheleute nach einem Zeitraum von mehreren Jahren – hier sieben Jahre zwischen den Erbfällen – umfasst.
Für die Auslegung einer solchen Formulierung stellt das OLG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung folgende Auslegungsrichtlinien auf:
- Nach dem Wortlaut des vorliegenden Testaments gilt die bevorzugte Erbeinsetzung für den Fall des gleichzeitigen Ablebens. Wird eine solche Formulierung gewählt, dann spricht dies dafür, dass die Erblasser damit nur den Fall des zeitgleichen Versterbens regeln wollten.
- In der Rechtsprechung werden Formulierungen, die auf das gleichzeitige Versterben der Testierenden Bezug nehmen, regelmäßig dahingehend ausgelegt, dass nach dem Willen der Testierenden jedenfalls auch der Fall erfasst wird, dass die Eheleute in kurzem zeitlichem Abstand versterben und der Überlebende zu einer neuerlichen Testamentserrichtung nicht in der Lage ist.
- Wenn die Eheleute in größerem zeitlichem Abstand versterben, kann eine für den Fall des „gleichzeitigen Versterbens” getroffene Erbeinsetzung nur dann anzuwenden sein, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Testierenden die Regelung dahin verstanden haben, dass diese auch das Versterben in erheblichem zeitlichem Abstand umfassen sollte, wobei sich hierfür allerdings eine Grundlage in der Verfügung von Todes wegen selbst finden lassen muss.
Der Bundesgerichtshof verlangt im letzteren Fall die Andeutung dieses Willens im Testament (BGH NJW 2019, 2317).