Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten oder Lebenspartners nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen des gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (OLG München ErbR 2017, 161). Eine solche Wechselbezüglichkeit ist nach der Auslegungsregel von § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner gegenseitig bedacht haben. Aufgrund dieser Auslegungsregel ist es bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments von den Eheleuten unabdingbar, dass die Frage nach der Wechselbezüglichkeit und einer daraus resultierenden Bindungswirkung bei der Gestaltung des Testaments berücksichtigt wird, damit es durch spätere Auslegung nicht zu einem vom Erblasserwillen abweichenden Ergebnis kommt. Dies zeigt beispielweise eine aktuelle Entscheidung des OLG Köln:
1. Bindende Erbeinsetzung des Bruders des Erblassers in einem gemeinschaftlichen Testament
a) Sachverhalt (OLG Köln ZEV 2023, 444 f.)
Die Erblasser E und F haben im Jahre 2005 ein gemeinschaftliches Testament mit u.a. folgendem Inhalt testiert:
Zitat
„Testament: Wir, die Eheleute ..., setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen Erben unseres gesamten Nachlasses ein. Erbe des Letztversterbenden sollen ... (B) und ... (B 3) sein. Grund: Unsere Tochter (T) hat sich mit gesamter Familie von unserer Familie losgesagt, ... Sie hat sich mir gegenüber dahingehend geäußert, nichts mehr mit uns zu tun zu haben. ... (B) und ... (B 3) haben wir darum bedacht, weil sie bei der Pflege meiner Frau uns sehr stark unterstützt haben. Dies soll der Dank dafür sein. ...”
F verstarb im Jahre 2006. Im Jahre 2022 verfügte der Erblasser ein Einzeltestament und setzte die gemeinsame Tochter T der Eheleute zur Alleinerbin ein. Er führte im Testament weiter aus, dass die (o.g.) Einsetzung seines Bruders und seiner Schwägerin von seiner Ehefrau und ihm nur vorgenommen sei, um einerseits die gesetzliche Erbfolge der T auszuschließen und andererseits überhaupt eine Erbfolge sicherzustellen. Die Einsetzung der Schlusserben (Bruder und Schwägerin) im Jahre 2005 sei nie Bedingung für die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten gewesen. Der Bruder des Erblassers verstarb im Jahre 2021. Am 17.8.2022 verstarb der Erblasser. T beantrage nach dem Testament aus 2022 einen Alleinerbschein. Dem widersprach die Schwägerin des Erblassers B3 mit der Begründung, dass die Schlusserbeneinsetzung im Jahre 2005 wechselbezüglich getroffen worden ist. Dies könne durch ein späteres Einzeltestament nicht mehr widerrufen werden. Das zuständige Nachlassgericht Bonn hat die Erteilung des Alleinerbscheins versagt. T legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.
b) Entscheidung
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Verfügungen der Eheleute im gemeinschaftlichen Testament von 2005 sind unter dem Rückgriff von § 2270 Abs. 2 BGB wechselbezüglich. Zwar waren der Bruder des Erblassers und die Schwägerin nicht mit der Ehefrau F verwandt. Sie standen sich aber nahe. „Nahestehen” i.S.d. § 2270 Abs. 2 BGB ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, wobei an den Begriff hohe Anforderungen zu stellen sind. Eine bindende Schlusserbeneinsetzung des Bruders des Erblassers kann vorliegen, wenn in der gemeinschaftlichen testamentarischen Anordnung ein besonderer Grund für die Erbeinsetzung aufgenommen worden ist. Dieser liegt hier in der Übernahme der Pflege von F begründet, wodurch ein Näheverhältnis zwischen den Beteiligten anzunehmen gewesen ist. Im Übrigen ist der Erbanteil des Bruders der Schwägerin B3 angewachsen. Die Wechselbezüglichkeit der Einsetzung hat auch den angewachsenen Anteil umfasst.
Nach dieser Entscheidung hat das OLG Köln nur wenige Wochen später die Anforderungen an den Begriff „nahesteht” nach § 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB nochmals konkretisiert (OLG Köln BeckRS 2023, 25481):
Zitat
„(...) An den Begriff des „Nahestehens” sind hohe Anforderungen zu stellen (...). Nahestehende Personen in diesem Sinne sind nur solche, zu denen zumindest der begünstigende Ehegatte eine derart enge innere Beziehung hat, dass sie dem üblichen Verhältnis zu nahen Verwandten entspricht. Diesbezüglich sind strenge Anforderungen zu stellen, um die Auslegungsregel nicht zum gesetzlichen Regelfall werden zu lassen (...). Insbesondere genügt ein freundschaftliches, ungetrübtes Verhältnis insoweit nicht, da ein solches zu letztwillig bedachten Personen regelmäßig besteht. Dies gilt auch dann, wenn das Verhältnis durch regelmäßige Treffen, gemeinsame Freizeitaktivitäten und die Teilnahme an Familienfeiern regelmäßig gepflegt wird (...). Der Umstand, dass es sich bei den Begünstigten um ein „Patenkind” handelt, genügt in der Regel ebenfalls nicht (...). Soweit die Zeugin H in ihrer eidesstattlichen Versicherung erklärt hat, der Beteiligte zu 1) sei nicht nur Patensohn des vorverstorbenen Ehemanns der Erblasserin gewesen, sondern von diese...