„Das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesverfassungsgerichtsbarkeit ist nicht ganz spannungsfrei.” (Walter, a.a.O., Art. 93 Rn 127). Gerade die zuvor besprochenen Verfahrensarten und die in diesen Verfahren zu prüfenden materiellen Verfassungsfragen zeigen eindrucksvoll die Parallelität im bundesrepublikanischen Verfassungs(prozess)recht. Diesem gilt es verfahrensrechtlich und materiell-rechtlich zu begegnen. Dabei gilt: Je umfassender die Zuständigkeiten eines Landesverfassungsgerichts ausgestaltet sind, desto wichtiger wird die Bestimmung des Verhältnisses zum Bundesverfassungsgericht (Walter, a.a.O., Art. 93 Rn 127).
1. Grundsatz
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1955 entschieden, dass in dem „betont föderativ gestalteten Staat wie der Bundesrepublik Deutschland (...) die Verfassungsräume des Bundes und der Länder grds. selbstständig nebeneinander [stehen]” (Beschl. v. 11.5.1955 – 1 BvO 1/54, NJW 1955, 945). Hieraus erwächst jedoch kein echtes Nebeneinander. Vielmehr wirken die Regelungen des Grundgesetzes auch in die Landesverfassungen hinein (BVerfG, Beschl. v. 7.5.2001 – 2 BvK 1/00, NVwZ-RR 2002, 81).
2. Institutionelles Nebeneinander
Ein wirkliches Nebeneinander zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den Landesverfassungsgerichten gibt es lediglich institutionell. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht die „zweite Instanz” im Rahmen der Verfassungsgerichtsbarkeit. Gegen Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte gibt es keine Rechtsmittel. Zugleich ist die Landesverfassungsbeschwerde auch nicht Teil des nach § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG zu erschöpfenden Rechtswegs (BVerfG, Beschl. v. 1.6.2006 – 1 BvR 1096/05, NJOZ 2006, 3534). Ebenfalls scheidet eine Verweisung zwischen dem Bundesverfassungsgericht und einem Landesverfassungsgericht aus (BVerfG, Beschl. v. 27.10.1994 – 2 BvH 4/92, LKV 1995, 153).
3. Klare, „ausschließliche” Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts bzw. der Landesverfassungsgerichte
Keine Abgrenzungsprobleme treten bei denjenigen Verfahren auf, welche dem Bundesverfassungsgericht ausschließlich zugewiesen sind:
Unproblematisch sind auch Organstreitigkeiten. Das Bundesverfassungsgericht ist nur zuständig bei Organstreitigkeiten zwischen Bundesorganen. Die Landesverfassungsgerichte entscheiden bei Streitigkeiten zwischen Landesorganen.
Wahlprüfungsverfahren verursachen ebenfalls regelmäßig keine Abgrenzungsfragen, da hier eine alternative Zuständigkeit gegeben ist (Huber/Voßkuhle, a.a.O., Art. 93 Rn 72).
Schließlich weist das Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht noch Reservezuständigkeiten zu. Dies gilt zum einen für Verfassungsorganstreitigkeiten innerhalb eines Landes (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 3 GG) und zum anderen für Kommunalverfassungsbeschwerden gegen Landesgesetze (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Hs. 2 GG). Insoweit ist das Bundesverfassungsgericht allerdings nur zuständig, soweit es keine angemessenen Rechtsschutzmöglichkeiten durch die Landesverfassungsgerichte gibt.
Hinweis:
Diskutiert wird, ob die Reservezuständigkeit im Organstreitverfahren auch greift, wenn der Kreis der Antragsberechtigten im Landesverfassungsrecht enger ist als nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG i.V.m. § 71 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG (vgl. zum Meinungsstand: Huber/Voßkuhle, a.a.O., Art. 93 Rn 159).
4. Parallele Zuständigkeiten
Abgrenzungsschwierigkeiten können insb. bei der Verfassungsbeschwerde, der konkreten und der abstrakten Normenkontrolle auftreten. Diese Verfahren können parallel betrieben werden.
Allerdings prüft das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen das Grundgesetz, wohingegen die Landesverfassungsgerichte „nur” Verstöße gegen die jeweilige Landesverfassung prüfen. Jedoch erfolgt auch hier keine trennscharfe Abgrenzung. Denn wenn die Regelungen des Grundgesetzes in die Landesverfassungen hineinwirken, führt dies dazu, dass auch die Landesverfassungsgerichte Normen des Grundgesetzes prüfen.
Beispiel:
So hat der Thüringische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass der Appell eines Regierungsmitglieds an die Stadt- und Gemeinderäte, dass es keine Gemeinsamkeiten auf der Basis von Anträgen einer bestimmten Partei geben dürfe, das aus Art. 21 Abs. 1 GG folgende Neutralitätsgebot zu Lasten dieser Partei verletzt (ThürVerfGH, Urt. v. 8.6.2016 – VerfGH 25/15, NVwZ 2016, 1408).
Auf Rechtsfolgenseite ist bei der konkreten Normenkontrolle zu beachten, dass in den Fällen, in denen ein Verfassungsgericht die Norm für verfassungswidrig oder nichtig hält, die Vorlage an das andere Gericht gegenstandslos wird. Bei der abstrakten Normenkontrolle entfällt regelmäßig das Klarstellungsinteresse, wenn ein Verfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit ...