Eine solche lediglich quotale Leistungskürzung hat der Gesetzgeber bei einer grob fahrlässigen Gefahrerhöhung nach den §§ 23 ff. VVG, einer grob fahrlässigen Verletzung einer vertraglich vereinbarten Obliegenheit gem. § 28 VVG, der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls nach § 81 VVG oder einer Verletzung bestimmter gesetzlich normierter Obliegenheiten nach den §§ 82, 86 VVG vorgesehen. Für all diese Tatbestände einer quotalen Leistungskürzung gelten die nachfolgenden Grundsätze.
1. Vollständige Leistungskürzung
Während dies in der Literatur lange Zeit umstritten war, hat der BGH letztendlich entschieden, dass der Versicherer auch bei den oben genannten Fallgruppen im Ausnahmefall zu einer vollständigen Leistungskürzung berechtigt sein kann (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 205/10, zfs 2011, 511; BGH, Urt. v. 11.1.2012 – IV ZR 251/10, zfs 2012, 212). Dann muss es sich aber um ein besonders schweres Verschulden im Grenzbereich zu einem Vorsatz sein.
Diskutiert wird dies vor allem bei der Fallgruppe der Herbeiführung des Versicherungsfalls im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit.
Hinweis:
Die vollständige Leistungskürzung ist bereits in den Gesetzesmaterialien als Ausnahmefall im Grenzbereich zu einem vorsätzlichen Fehlverhalten diskutiert worden und bedarf daher der besonderen Begründung.
2. Beweislast
Der Versicherer trägt bereits nach der Gesetzesbegründung die Beweislast für alle Umstände, welche die von ihm verfolgte Kürzungsquote rechtfertigen sollen. Der Versicherungsnehmer kann zu diesem Vorbringen jedoch nicht einfach schweigen oder dieses mit Nichtwissen bestreiten. Ihn trifft vielmehr eine sekundäre Darlegungslast, um substantiiert die in seinem Wissen liegenden Umstände, welche der Versicherer vorträgt, zu widerlegen. Trägt der Versicherer durch den Nachweis einer absoluten Fahruntüchtigkeit erst einmal ausreichend zu der Grundlage für eine vollständige Leistungskürzung vor, obliegt es dem Versicherungsnehmer, nachvollziehbar und widerspruchsfrei ihn entlastende Umstände vorzutragen. Geschieht dies, hat der Versicherer diesen Vortrag wiederum zu widerlegen, um seiner Beweislast Genüge zu tun (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 205/10, zfs 2011, 511).
Nicht zu folgen ist danach dem sog. Mittelwertmodell, wonach erst einmal eine Leistungskürzung bei 50 % anzusetzen ist und jede Seite, welche hiervon abweichen möchte, Umstände zu ihren Gunsten beweisen muss (zur Kritik vgl. OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.12.2010 – 5 U 147/10, zfs 2011, 211; Nugel, Kürzungsquoten nach dem VVG, § 1 Rn. 23 ff. m.w.N.). Denn dieses Modell steht im Widerspruch zu dem Willen des Gesetzgebers und der oben dargelegten Grundsatzentscheidung des BGH. Dessen ungeachtet, wird in der tatrichterlichen Rechtsprechung immer noch gerne auf dieses Modell zurückgegriffen, um augenscheinlich ohne weiteren Aufwand eine pauschale Kürzungsquote von 50 % zugrunde zu legen (beispielhaft: LG Kassel, Urt. v. 27.5.2010 – 5 O 2653/09, zfs 2011, 33; LG Hannover, Urt. v. 17.9.2010 – 13 O 153/08, VersR 2011, 122).
Hinweis:
Der Fall der durchschnittlichen groben Fahrlässigkeit mag zwar häufig zu einer Kürzung von lediglich 50 % berechtigen. Damit darf jedoch keine grundsätzliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast verbunden werden.
3. Quotenbildung
Nicht vorgegeben hat der Gesetzgeber die Schritte, mit welchen die Bildung der Kürzungsquote erfolgen kann. Hier haben sich zwei verschiedene Lösungswege in der Praxis etabliert:
- Nach einer Ansicht bietet sich die Vorgehensweise in Schritten von 10 % an, um gerade bei großen Schäden einzelfallgerechte Lösungen zu bieten (beispielhaft OLG Hamm, Urt. v. 20.8.2010 – 20 U 74/10, zfs 2010, 634).
- Nach einer anderen Ansicht ist gerade im Bereich der Kraftfahrtversicherung als Massengeschäft unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ein Vorgehen nur in groben Schritten von 25, 50 und 75 bis zu 100 % geboten (OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.12.2010 – 5 U 147/10, zfs 2011, 211).
4. Quotenbildung bei Mehrfach-Pflichtverletzungen
Auch nicht geregelt hat der Gesetzgeber die Frage, wie die Kürzungsquote im Fall mehrerer quotaler Leistungskürzungen zu bilden ist. Einigkeit besteht jedenfalls, dass erst einmal für jeden Kürzungstatbestand eine einzelne Quote zu bilden ist. Am einfachsten ist diese Frage zu beantworten, wenn mit Teilen in der Rechtsprechung eine Addition der so ermittelten Kürzungsquoten bis zu 100 % zugelassen wird (LG Kassel, Urt. v. 27.5.2010 – 5 O 2653 09, zfs 2011, 33). Dadurch wird allerdings die Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips schnell wieder aufgehoben, so dass sich diese Vorgehensweise voraussichtlich in der Rechtsprechung nicht durchsetzen wird. Vorzugswürdig dürfte vielmehr eine sog. Gesamtbetrachtung sein, bei welcher die Einzelquoten innerhalb eines bestimmten Rahmens zu einer gesamten Kürzungsquote zusammengezogen werden (LG Dortmund, Urt. v. 15.7.2010 – 2 O 8/10, zfs 2010, 515).
Praxishinweis:
Rechtfertigt beispielsweise der erste Kürzungstatbestand eine Kürzung von nur 30 %, der zweite Tatbestand jedoch für sich gesehen zu 60 % und bildet damit die Untergrenze, dürfte sich eine Gesamtquote...