Der Beruf des Richters verbindet die künstlerische Freiheit mit der Sicherheit des Beamtentums. Richter sind an keine Dienststunden gebunden, es ist ihnen freigestellt, wann und wo sie ihre Arbeit erledigen.
Dieses Richterprivileg wird mit einer langjährigen Tradition begründet, die darauf zurückzuführen sei, dass im vorigen Jahrhundert die Gerichtsgebäude keine Dienstzimmer für Richter vorhielten. Tatsächlich traf dies nur auf das Reichsgericht zu, den Richtern des Reichsgerichts wurden die zu bearbeitenden Akten von Justizbeamten nach Hause gebracht.
Die Gerichtsgebäude für Oberlandesgerichte, Landgerichte und Amtsgerichte, die überwiegend Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut worden sind, sehen demgegenüber sehr wohl richterliche Dienstzimmer vor, die aber bis heute kaum genutzt werden. Die Befreiung von Dienststunden erfolgte durch einen Erlass des Reichsministers der Justiz vom 21. Juni 1939, um auch die Richterschaft gegenüber dem Nationalsozialismus gnädig zu stimmen. Verfasser dieses Erlasses vom 21. Juni 1939 war der damalige Staatssekretär Dr. Roland Freisler, der später als Präsident des Volksgerichtshofs bekannt und berüchtigt geworden ist.
Diese Errungenschaft des Dritten Reichs wird auch heute noch gehegt und gepflegt. In einer Entscheidung des BGH vom 16.11.1990 (RiZ 2/90) heißt es, die sachliche Unabhängigkeit der Richterschaft erstrecke sich auch auf die Arbeitszeitgestaltung, weil die Rechtsfindung "von äußeren Zwängen, seien sie auch nur atmosphärischer Art, soweit als eben möglich frei sein soll". Atmosphärische Störungen sind allenfalls im häuslichen Bereich zu befürchten, nicht jedoch in einem vollklimatisierten Richterzimmer. Weiter heißt es in dieser Entscheidung, ein Richter müsse die Möglichkeit haben, "sich, wann immer seine Anwesenheit im Gericht nicht unerlässlich ist, mit seiner Arbeit zurückziehen zu können, um sich ihr in anderer Umgebung mit freier Zeiteinteilung umso ungestörter und intensiver widmen zu können". Richter sind offenkundig die einzige Berufsgruppe, die nur in Wald und Flur oder im häuslichen Familienkreis kreativ tätig sein kann.
Die Anwesenheit von Richtern während der üblichen Dienstzeiten ist für organisatorische Abläufe ebenso sinnvoll wie für Richterkollegen und Rechtsanwälte, die mit dem zuständigen Richter Verfahrensfragen und Terminierungen absprechen wollen. Die richterliche Unabhängigkeit wird hierdurch nicht tangiert.
Die Befreiung von Dienststunden kann allenfalls als Äquivalent zu der bescheidenen Richterbesoldung gerechtfertigt werden.
Richterliche Freiheit bedeutet auch und vor allem Freiheit in wirtschaftlicher Hinsicht, die nur durch ein Einkommen gesichert ist, das der Bedeutung des Richteramtes in einem Rechtsstaat entspricht.
Spitzenjuristen können in der freien Wirtschaft ein Einkommen erzielen, welches das Richteramt um ein Vielfaches übersteigt, so dass es immer schwerer werden wird, qualifizierte Juristen für den Staatsdienst zu gewinnen. Die Befreiung von Dienststunden dürfte nur wenig zur Attraktivität des Richterdienstes beitragen.
Der Erlass des Justizstaatssekretärs Dr. Freisler vom 21. Juni 1939 hat auch die Staatsanwaltschaft von der Einhaltung von Dienststunden befreit, die Staatsanwälte machen von diesem Privileg jedoch wenig Gebrauch.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln
ZAP 23/2015, S. 1219 – 1220