Wann der Taterfolg "Steuerverkürzung" eintritt – die Tat also vollendet ist – ergibt sich namentlich aus § 370 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 AO. Maßgebend ist insoweit die nicht richtige, nicht rechtzeitige oder gar nicht erfolgte Steuerfestsetzung. In Bezug auf die Art der Steuerfestsetzung ist zwischen Veranlagungssteuern und Anmeldungssteuern zu unterscheiden.

aa) Veranlagungssteuer

Bei Veranlagungssteuern erfolgt die Steuerfestsetzung i.d.R. durch förmlichen Steuerbescheid (§§ 155, 157 AO). Eine Steuerfestsetzung wird mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids an den Steuerpflichtigen wirksam (§ 124 Abs. 1 S. 1 AO). Die Bekanntgabefiktion nach § 122 Abs. 2 AO findet Anwendung, so dass eine Vollendung erst nach drei Tagen nach Absendung eingreift, auch wenn der Bescheid früher zugeht (Graf/Jäger/Wittig/Rolletschke, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 370 Rn. 93 ff.; Rolletschke/Kemper, § 370 Rn. 183; Klein/Jäger, § 370 Rn. 90a; Flore/Tsambikakis/Flore, Steuerstrafrecht, 1. Aufl. 2013, § 370 Rn. 273).

Unerheblich ist insoweit die Veranlagungsform (endgültig, vorläufig i.S.d. § 165 AO, Vorbehalt der Nachprüfung i.S.d. § 164 AO). Tatbestandlich unerheblich sind auch die Bestandskraft des Steuerbescheids, die Fälligkeit der Steuerforderung oder die schlichte Nichtzahlung von Steuern (BGH, Beschl. v. 13.10.2005 – 5 StR 368/05, wistra 2006, 66). Da der jeweilige Besteuerungsabschnitt maßgebend ist, ist tatbestandlich auch irrelevant, ob die nicht zutreffend erklärten Besteuerungsgrundlagen in einem späteren Besteuerungszeitraum (nach-)erklärt werden. Weil zudem auf den jeweiligen Steuerpflichtigen abgestellt wird, ist tatbestandlich ebenso ohne Bedeutung, ob ein Dritter gegenüber den Finanzbehörden fiktive Angaben macht und Besteuerungsgrundlagen erklärt, die den Steuerpflichtigen betreffen (sog. Strohmann-Fälle, vgl. z.B. BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 344/08, wistra 2009, 278). Strafrechtlich unerheblich ist ferner, ob die unzutreffende Steuerfestsetzung steuerverfahrensrechtlich noch nach den §§ 129, 164 Abs. 2 S. 1, 165 Abs. 2 S. 1, 172 ff. AO korrigiert werden (kann) oder nicht (Rolletschke wistra 2007, 371).

Aus Praktikabilitätsgründen (die Steuerhinterziehung durch pflichtwidriges Unterlassen wäre ansonsten wegen § 171 Abs. 7 AO unverjährbar) wird zugunsten des (insbesondere steuerlich nicht geführten) Steuerpflichtigen fingiert, eine Steuerverkürzung liege auch vor, sobald die Veranlagungstätigkeit für den betreffenden Veranlagungszeitraum im zuständige Veranlagungsbezirk im seinerzeit örtlich zuständigen Festsetzungsfinanzamt "im Allgemeinen" abgeschlossen ist. Bis dahin wäre nämlich der Steuerpflichtige bei ordnungsgemäßer Abgabe seiner Steuererklärung(en) – von einzelnen Restfällen abgesehen – spätestens veranlagt worden (vgl. BGH, Beschl. v. 28.10.1998 – 5 StR 500/98, wistra 1999, 385). In der Praxis wird der besagte Abschluss der Veranlagungsarbeiten regelmäßig mit Erreichen einer 95 %igen Erledigungsquote im örtlich zuständigen Festsetzungsfinanzamt angenommen (BayObLG, Beschl. v. 9.11.2000 – 4 StRR 126/00, wistra 2001, 194). Maßgeblich sind grundsätzlich die konkreten Verhältnisse im zuständigen Finanzamt. Nach der Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 19.1.2011 – 1 StR 640/10, PStR 2011, 82) sind aber auch die konkreten steuerlichen Verhältnisse des jeweiligen Angeklagten von Bedeutung. Insoweit kann vor allem bei einfach gelagerten Sachverhalten von einer Zeitspanne der Bearbeitung fristgerecht eingereichter Steuererklärungen von längstens einem Jahr ausgegangen werden.

 

Hinweis:

Insofern kann Vollendung in einfach gelagerten Fällen der Unterlassensvariante bereits ein Jahr nach dem gesetzlichen Abgabetermin denkbar sein (BGH, Urt. v. 19.1.2011 – 1 StR 640/10, PStR 2011, 82).

bb) Anmeldungssteuer

Während Veranlagungssteuern auf der Grundlage von Angaben des Steuerpflichtigen von der Finanzbehörde festgesetzt werden, muss der Steuerpflichtige bei gesetzlich vorgeschriebenen Steueranmeldungen seine Steuer selbst berechnen (§ 150 Abs. 1 S. 2 AO) und die selbst berechneten Beträge bis zu einem gesetzlich festgelegten Zeitpunkt entrichten, vgl. z.B.: USt: §§ 18 Abs. 1 bis Abs. 4 UStG; LSt: 41a Abs. 1 EStG; KapESt: § 45a Abs. 1 EStG.

Reicht der Steuerpflichtige eine unrichtige Steueranmeldung bei der Finanzbehörde ein, hängt der Zeitpunkt des Eintritts der Steuerverkürzung davon ab, ob die Steueranmeldung einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 S. 1 AO) oder nicht. Im "Schwarzfall" (= Steuerzahllast) hat die Steueranmeldung bereits mit Eingang bei der Finanzbehörde Steuerfestsetzungsqualität (Nr. 1 S. 1 AEAO zu § 168). Soll die Steueranmeldung zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder zu einer Steuervergütung führen ("Rotfall"), gilt die Steueranmeldung als Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung erst dann, wenn die Finanzbehörde zustimmt (§ 168 S. 2 AO). Die Zustimmung ist formlos möglich (§ 168 S. 3 AO); deren Bekanntgabe erfolgt in der Praxis konkludent durch Auskehrung des "Rotbetrags". Die Verkürzung tritt ...

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