Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist nach h.M. lex specialis gegenüber dem Betrug (§ 263 StGB, vgl. BGH, Urt. v. 14.12.1983 – 3 StR 452/83, BGHSt 32, 203; Rolletschke/Kemper, § 370 Rn. 32 (tatbestandliche Exklusivität).
§ 370 AO ist ein Erfolgsdelikt (vgl. BGH, Urt. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 315).
Dabei ist der Taterfolg "Steuerverkürzung" in § 370 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 AO anhand von Hauptanwendungsbeispielen definiert. Der Taterfolg "Steuervorteil" ist hingegen in § 370 Abs. 4 S. 2 AO nur ansatzweise umschrieben. § 370 AO ist nach h.M. (vgl. BGH, Beschl. v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99; Klein/Jäger, Abgabenordnung, 12. Aufl. 2014, § 370 Rn. 85 [im Folgenden kurz: Klein/Jäger]) in Bezug auf den Taterfolg "Steuerverkürzung" (§ 370 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 AO) ein Gefährdungsdelikt. Ausweislich der Umschreibung des Taterfolgs muss die Steuerfestsetzung lediglich nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig erfolgt sein. Anders als beim Betrug i.S.d. § 263 StGB ist auf der Ebene des Taterfolgs daher keine nachweisbare Schädigung des Steuerfiskus in Form einer Vermögensminderung oder einer schadensgleichen Vermögensgefährdung erforderlich. Vielmehr reicht die Gefährdung des durch die Verwirklichung des materiellen Besteuerungstatbestands entstandenen Steueranspruchs aus.
Hinweis:
Deshalb handelt ein Täter auch dann tatbestandsmäßig, wenn der Steueranspruch wegen Vermögenslosigkeit des Steuerpflichtigen von vornherein keinen wirtschaftlichen Wert hatte, so dass diese Wertlosigkeit des Steueranspruchs durch die Tathandlung des § 370 Abs. 1 AO gar nicht weiter vertieft werden konnte (vgl. Schmitz/Wulf, in: MüKo, Nebenstrafrecht II, 2. Aufl. 2015, § 370 Rn. 83 [im Folgenden kurz: MK/Schmitz/Wulf]).
Auf der anderen Seite stellt die bloße Nichtzahlung von Steuern demzufolge aber auch keine tatbestandliche Steuerhinterziehung dar (BGH, Beschl. v. 22.7.2014 – 1 StR 189/14, NStZ-RR 2014, 310; Simon/Vogelberg, Steuerstrafrecht, 3 Aufl., 2011, S. 7). Die Vermögenslosigkeit des Steuerpflichtigen ist nach dem BGH zudem keine bestimmende Strafzumessungsüberlegung (BGH, Urt. v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 312).
Nach h.M. (BGH, Beschl. v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99) ist § 370 AO in der Taterfolgsalternative "Vorteilserlangung" (§ 370 Abs. 4 S. 2 AO) im Bereich des Festsetzungs- und Feststellungsverfahrens ebenso als Gefährdungsdelikt zu qualifizieren. Danach genügt für die Annahme einer Vorteilserlangung eine hinreichend konkrete Gefährdung des Steueranspruchs (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99). Die Gefahr für den Steueranspruch muss aber jedenfalls einen vergleichbaren Konkretisierungsgrad wie bei einer Steuerverkürzung erreicht haben.
Die durch aktives Tun begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist kein Sonderdelikt (vgl. BGH, Beschl. v. 28.3.2007 – 5 StR 558/06, wistra 2007, 261; Rolletschke/Kemper, § 370 Rn. 42). Vor diesem Hintergrund ist nicht nur der Steuerpflichtige tauglicher Täter. Als Täter kommt z.B. auch der Drittschuldner in Betracht, der zugunsten eines Vollstreckungsschuldners falsche Angaben in einer Drittschuldnererklärung (§ 316 AO) macht. Im Gegensatz dazu stellt die Steuerhinterziehung in der Tatvariante § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nach h.M. ein Sonderdelikt dar, weil nur der zur Erklärung Verpflichtete Unterlassungstäter sein kann (vgl. BGH, Beschl. v. 7.11.2006 – 5 StR 164/06, wistra 2007, 112).
§ 370 AO ist ein sog. Blankettgesetz (BVerfG, Beschl. v. 29.4.2010 – 1 BvR 871/04, wistra 2010, 396; BGH, Urt. v. 12.5.2009 – 1 StR 718/08, wistra 2009, 398; Klein/Jäger, § 370 Rn. 5). Das heißt, das vollständige tatbestandliche Unrecht ergibt sich nicht bereits aus dem Blankettgesetz, sondern aus anderen gesetzlichen Vorschriften (hier: Steuerrecht), auf die das Blankettstrafgesetz Bezug nimmt. Der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz gilt damit auch für die ausfüllenden (Steuer-)Normen.