Die Sachverständigen bei einer öffentlichen Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses Mitte November zum Thema Schutz vor Stalking waren sich vor allem in einem einig: Dass der geltende Stalking-Paragraf des Strafgesetzbuches (§ 238 StGB) oft keinen wirksamen Schutz bietet. Derzeit führen nur ein bis zwei Prozent der Anzeigen nach § 238 StGB zu einer Verurteilung. Der Grund dafür ist, dass kaum ein Stalking-Opfer gerichtsfest nachweisen kann, dass seine Lebensgestaltung "schwerwiegend beeinträchtigt" wurde, wie es das Gesetz für eine Strafbarkeit der Tat voraussetzt. Der oder die Betroffene müsste dazu typischerweise seinen Wohnort gewechselt oder die Arbeit aufgegeben haben. Die Bundesregierung schlägt daher nun vor, dass es u.a. für die Strafbarkeit ausreichen soll, wenn eine Tat "geeignet" ist, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen (vgl. BT-Drucks 18/9946). Ob dies aber der richtige Weg ist, den Schutz vor Stalking künftig zu verbessern, darüber gingen die Expertenmeinungen auseinander.
Die Umwandlung von einem Erfolgsdelikt zu einem Eignungsdelikt begrüßten allerdings fast alle Teilnehmer der Anhörung. Lediglich die ehemalige Leitende Oberstaatsanwältin Birgit Cirullies bezweifelte die erhoffte Wirkung der Umwandlung in ein Eignungsdelikt. Auch die Eignung betreffe immer ein besonderes Opfer. Auch dann hänge die Entscheidung eines Richters davon ab, ob dieses beispielsweise leicht oder schwer zu beeindrucken ist. Cirullies schlug daher vor, es beim Erfolgsdelikt zu belassen, aber das Wort "Lebensgestaltung" durch "Lebensverhältnisse" zu ersetzen und dadurch die Schwelle der Strafbarkeit zu senken.
Sehr umstritten war allerdings die von der Bundesregierung geplante Generalklausel, die mit dem weiteren Tatbestand "andere vergleichbare Handlung" die im Gesetz aufgeführten vier typischen Verhaltensweisen ergänzen soll, die beharrliche Nachstellungen benennen. Sie, so die Kritik, widerspreche dem Verfassungsgebot der Bestimmtheit von Strafnormen. Während der Deutsche Juristinnenbund vermittelnd vorschlug, die Generalklausel durch Benennung weiterer typischer Handlungen zu ersetzen, kritisierte die Vorsitzende der Opferschutz-Organisation Weißer Ring und ehemalige nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter: "So kreativ kann man gar nicht sein, dass man alle Handlungen ins Gesetz schreibt." Die Expertin des Berliner FRIEDA-Frauenzentrums pflichtete dem bei: "Sie können sich nicht vorstellen, welche Phantasie Stalker oft haben."
Die Vertreterin des Deutschen Anwaltvereins bezweifelte grundsätzlich, dass sich ein besserer Schutz vor Stalking vor allem über das Strafrecht erreichen lässt, und fragte: "Warum wird nicht als erstes beim Gewaltschutzgesetz angesetzt?" Dieses könne den Opfern sehr schnell helfen, während das Strafrecht immer erst spät greife. Sie schlug vor, ins Gewaltschutzgesetz zusätzliche Kriterien aufzunehmen, um Stalking-Opfer zu schützen.
[Quelle: Bundestag]