a) "Schwaches" Protokoll aus sich heraus, Gebotensein einer Neufeststellung
Die vollständige Protokollierung der Zeugen-/Sachverständigen-/Parteiaussage ist die Ausnahme; regelmäßig erfolgt nur eine Zusammenfassung der Aussage, die sodann in das Protokoll diktiert wird. Unvollständigkeiten und Missverständnisse kommen in nicht wenigen Fällen vor. Es kann sein, dass die Auskunftsperson vor dem Erstgericht nur deshalb keine näheren Angaben gemacht hat, weil das Gericht bereits die allgemein gehaltenen Aussagen für ausreichend hielt und daher keine weitere Konkretisierung verlangte; es ist aber auch möglich, dass die Auskunftsperson weitere Einzelheiten geschildert hat, die dem Erstgericht bei der Urteilsfällung noch gegenwärtig waren, die aber im Protokoll nicht festgehalten worden sind. Die Verwertung im Urteil ist trotz des "unvollständigen Protokolls" zulässig (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.1981 – IVa ZR 152/80, NJW 1982, 1052 f.).
Entsprechende Schwächen des Protokolls können allerdings den Einstieg in die Berufungsbegründung und das Vorliegen von Anhaltspunkten für Zweifel hinsichtlich der Vollständigkeit und Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen bieten:
- Ist der Inhalt einer Partei-/Sachverständigen-/Parteiaussage nach dem Protokoll zu vage oder ergänzungsbedürftig, ist eine Neuvernehmung durch das Berufungsgericht gem. § 398 ZPO geboten (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.1981 – IVa ZR 152/80, NJW 1982, 1052 f.).
- Gleiches gilt, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines vernommenen Zeugen anders beurteilen will als der Erstrichter (st. Rspr. vgl. bereits BGH, Urt. v. 1.10.1964 – VII ZR 225/62, NJW 1964, 2414 und aus neuerer Zeit BGH, Urt. v. 25.1.2013 – V ZR 147/12, NJW 2014, 550, 552) oder wenn
- das Berufungsgericht die protokollierte Aussage eines Zeugen anders verstehen will als der Richter der Vorinstanz (vgl. BGH, Urt. v. 13.3.1968 – VIII ZR 217/65, NJW 1968, 1138; BGH, Urt. v. 7.7.1981 – VI ZR 48/80, NJW 1982, 108; BGH, Urt. v. 14.10.1981 – IVa ZR 152/80, NJW 1982, 1052 f.).
b) Verfahrungsrüge der Nichterörterung des Beweisergebnisses
Die nach §§ 279 Abs. 3, 285 Abs. 1 ZPO notwendige Schlussverhandlung mit Erörterung des Beweisergebnisses stellt eine wesentliche Förmlichkeit dar. Ist sie protokolliert, hat sie aber nicht stattgefunden, ist das Protokoll zu berichtigen. Ebenso ist das Protokoll zu berichtigen, wenn diese Schlussverhandlung stattgefunden hat, aber dennoch nicht protokolliert worden ist: "Nach §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO ist über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln und der Sach- und Streitstand erneut mit den Parteien zu erörtern. Findet sich im Protokoll kein Hinweis darauf, dass die Parteien zum Beweisergebnis verhandelt haben, steht infolge der Beweiskraft gem. §§ 165, 160 Abs. 2 ZPO ein Verstoß gegen die §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO und mithin ein Verfahrensfehler fest, der in der Regel das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör verletzt" (st. Rspr. vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 23.5.2012 â^’ IV ZR 224/10, NJW 2012, 2354 m.w.N.).
Hinweis:
Es stellt eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar, wenn das Gericht, obwohl die Beweisaufnahme die Behauptungen des Beweisführers nach Auffassung des Gerichts voll bestätigt hat, weitere Beweisantritte durch ihn für erforderlich hält, hierauf aber keinen Hinweis gibt (vgl. BGH, Urt. v. 13.6.1989 – VI ZR 216/88, NJW 1989, 2756 f.).
Was §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO genau für die Tiefe und den Inhalt der Erörterung bedeutet, ist im Einzelnen ungeklärt. Nach einer Ansicht soll das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet sein, im Anschluss an die Beweisaufnahme seine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, um den Parteien damit Gelegenheit zu geben, weitere Beweismittel anzubieten (vgl. BGH, Urt. v. 15.4.2016 – V ZR 42/15, MDR 2016, 1110). In diesem Zusammenhang drückt der Satz eine Selbstverständlichkeit aus, denn die Erörterungspflicht ist keinesfalls mit der Möglichkeit der Eröffnung neuer Beweise gleichzusetzen, denn die Erörterungspflicht umfasst zwar das Recht, zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme neue Beweisanträge zu stellen (vgl. BGH, Beschl. v. 25.1.2012 – IV ZR 230/11), aber nur im Rahmen der §§ 296, 296a, 283 ZPO (so mit Recht Greger MDR 2016, 1057, 1059, 1060). Diese Entscheidung darf daher nicht dergestalt missverstanden werden, dass eine Erörterung über das Beweisergebnis grundsätzlich nicht erforderlich ist. Da das Ergebnis einer Beweisaufnahme einerseits kaum jemals mit absoluter Sicherheit vorherzusehen ist, andererseits aber Art. 103 Abs. 1 GG das grundrechtsgleiche Recht gewährt, sich vor Erlass der Entscheidung zu den tatsächlichen Grundlagen äußern zu können und diese ohne Erörterung der für das Gericht wesentlichen Umstände im Dunkeln bleiben können, bedeutet das zwar nicht, dass das Gericht generell offenlegt, aufgrund welcher tatsächlichen und rechtlichen Grundlage es entscheiden wird. Bei Zweifeln an einer Aussage oder Aussagekraft eines Gutachtens oder bei widersprechenden Zeugenaussagen oder Gutachten oder interpretierbaren Eindrücken eines Augenscheins, muss das Gericht i.d.R. ("soweit bereits möglich") die Kriterien benennen, von denen es sich...