Neues Vorbringen ist nach dem ZPO-Reformgesetz nur noch ausnahmsweise zulässig, so dass von einem "Novenverbot" gesprochen werden kann. Vorbringen, das bereits in erster Instanz zu Recht als verspätet zurückgewiesen worden ist, ist kraft Gesetzes gem. § 531 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen. Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind gem. § 531 Abs. 1 S. 1 ZPO nur dann zulässig, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszugs erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist (Nr. 1), oder wenn sie im ersten Rechtszug wegen eines Verfahrensmangels (Nr. 2) oder ohne eine Nachlässigkeit der Partei (Nr. 3) nicht geltend gemacht worden sind.
Eine stringente Abgrenzung dieser Zulassungsgründe ist nicht immer möglich; "es handelt sich um eine mehr oder weniger zufällige Aneinanderreihung von Kriterien" (vgl. Eichele/Hintz/Oberheim, a.a.O., Kap. G, Rn 145). Zu beachten ist, dass § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu ergänzen ist. Hinzu kommen muss, dass die (objektiv fehlerhafte) Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag der Partei auch beeinflusst hat und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre, (mit-)ursächlich dafür geworden ist, dass sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert. Das wiederum kommt vor allem dann in Betracht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs bei richtiger Rechtsauffassung zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet gewesen wäre, den jetzt – falls noch erforderlich – das Berufungsgericht nachzuholen hat, oder wenn die Partei durch die Prozessleitung des Erstrichters oder dessen sonst erkennbare rechtliche Beurteilung des Streitverhältnisses davon abgehalten worden ist, zu bestimmten Gesichtspunkten (weiter) vorzutragen (vgl. BGH, Urt. v. 19.2.2004 – III ZR 147/03, NJW-RR 2004, 927 f.). Die Verletzung der Hinweispflicht stellt aber wiederum einen Verfahrensmangel nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO dar, so dass dieser Zulassungsgrund (Nr. 2) den Fall betrifft, dass bereits vom Standpunkt des Ersturteils ein Hinweis erforderlich gewesen wäre.
Hinweis:
Wichtig ist, dass ein Fehler oder ein Verhalten des Gerichts den erstinstanzlichen Vortrag (mit-)beeinflusst hat, vor allem, wenn der Eindruck erweckt worden ist (z.B. durch eine Terminsverfügung, Beweisaufnahme, Prozessleitung, erkennbare rechtliche Beurteilung, gegebene oder unterlassene Hinweise, etc., vgl. BGH, Urt. v. 14.10.2004 – VII ZR 180/03, NJW-RR 2005, 213; Urt. v. 27.9.2006 – VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 ff.; Beschl. v. 22.2.2007 – III ZR 114/06, NJW-RR 2007, 774; Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 f.), dass weiterer Vortrag nicht nötig sei, denn Inhalt und Umfang des Parteivortrags hängen nicht unmittelbar und notwendig von der Rechtsauffassung des Gerichts ab (vgl. BGH, Urt. v. 19.2.2004 – III ZR 147/03, NJW-RR 2004, 927 f.).
Liegt der unzulängliche Vortrag nicht in der Sphäre des Gerichts, sondern in der Partei, ist weiterer Vortrag ausgeschlossen, sofern einfache Fahrlässigkeit gem. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO auf Seiten der Partei vorliegt. Damit kommt es – im Gegensatz zu § 528 ZPO a.F. – auf eine Verzögerung des Rechtsstreits nicht an, was nach einem Kammerbeschluss des BVerfG verfassungsmäßig sein soll (vgl. Beschl. v. 24.1.2005 – 1 BvR 2653/03, NJW 2005, 1768). Das BVerfG hatte allerdings stets betont, "dass Präklusionsvorschriften strengen Ausnahmecharakter haben, weil sie sich zwangsläufig nachteilig auf das Bemühen um eine materiell-richtige Entscheidung auswirken (BVerfGE 55, 72, 94) und einschneidende Folgen für die säumige Partei nach sich ziehen (BVerfGE 59, 330, 334; 60, 1, 6; 62, 249, 254; 63, 177, 180; 67, 39, 41; 69, 145, 149)", s. BVerfGE 75, 302, 312. Der absolute Verzögerungsbegriff, der zu einer schnelleren Beendigung des Prozesses als bei korrektem Alternativverhalten der säumigen Partei und damit zu einer Überbeschleunigung führen kann, soll als solches nicht zu beanstanden sein, denn dieses Ergebnis ist dann nicht untragbar und daher auch nicht unverhältnismäßig, wenn die Feststellung des mutmaßlichen Geschehensablaufs bei korrektem Alternativverhalten mit Unsicherheiten belastet ist oder zumindest Schwierigkeiten aufwirft. Es kann einerseits nicht Sinn der der Beschleunigung dienenden Präklusionsvorschriften sein, das Gericht mit schwierigen Prognosen über hypothetische Kausalverläufe zu belasten und damit weitere Verzögerungen zu bewirken; Präklusionsvorschriften dürfen aber andererseits auch nicht dazu benutzt werden, verspätetes Vorbringen auszuschließen, wenn ohne jeden Aufwand erkennbar ist, dass die Pflichtwidrigkeit – die Verspätung allein – nicht kausal für eine Verzögerung ist (vgl. BVerfGE 75, 302, 316). Damit müsste § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO verfassungskonform in diesem Sinne interpretiert werden, weil er sich zwangsläufig nachteilig auf das Bemühen einer materiell richtigen Entscheidung auswirkt (s.o.), ihm aber keinerlei Nutzen gegenübersteht, wenn ohne ...