Sollte ein Anspruch ausweislich der vorbereitenden Schriftsätze erhoben werden (§§ 297, 314 ZPO), ist er aber im Tatbestand nicht dokumentiert, muss zuerst die Tatbestandsberichtigung (ggf. mit Protokollberichtigung) erfolgen, bevor eine Urteilsergänzung erfolgen kann. Ist ein Anspruch hingegen verbeschieden, aber nicht unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten geprüft oder wurden Angriffs- oder Verteidigungsmittel übergangen, liegt keine Entscheidungslücke vor, sondern eine fehlerhafte Entscheidung, die nur mit der Berufung angegriffen werden kann (vgl. Eichele/Hintz/Oberheim, Berufung im Zivilprozess, 4. Aufl., D Rn 237 f.).
Die Urteilsergänzung gem. § 321 ZPO kommt in Betracht, wenn ein von einer Partei geltend gemachter Haupt- oder Nebenanspruch oder ein Kostenpunkt vom Gericht im Urteil versehentlich übergangen worden ist. Die Urteilsergänzung ist von der Berufung dahingehend abzugrenzen, dass die Beschwer nicht in der erlassenen Entscheidung, sondern in einer unterlassenen Entscheidung liegt (der versehentlichen Nichtentscheidung über einen Haupt- oder Nebenanspruch bzw. Kostenausspruch). Übersehene Einwendungen oder die Richtigstellung anderer Fehler rechtfertigen eine Urteilsergänzung nicht (vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2003 – IV ZR 149/02, NJW 2003, 1463 f.).
Problematisch kann dies dann werden, wenn die Beschränkung der Einstandspflicht des Haftpflichtversicherers auf die Versicherungssumme (§ 12 StVG) im Tenor nicht ausgesprochen wurde (keine Berufung mangels Beschwer, wenn sich aus dem Urteil nur das StVG als Haftungsnorm ergibt, vgl. BGH, Urt. v. 22.9.1981 – VI ZR 170/80, NJW 1982, 447), während ein nicht eingeräumtes Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB nur im Wege der Berufung geltend gemacht werden kann, denn in diesem Fall würde die Gewährung des Zurückbehaltungsrechts nicht nur zu einer Ergänzung des Tenors, sondern zu einer Änderung der bereits getroffenen Entscheidung führen (vgl. BGH NJW 2003, 1463 f.).
Zum Anwendungsbereich der Urteilsergänzung zählen u.a.:
- Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung gem. §§ 305, 780 ZPO,
- eine Entscheidung über die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 308a Abs. 1 ZPO,
- Gewährung von Vollstreckungsschutz nach §§ 711, 712 ZPO,
- eine Abwendungsbefugnis nach § 923 ZPO (vgl. BGH NJW-RR 1996, 1238 f.),
- der Vorbehalt hinsichtlich der Ausführung der Rechte im Nachverfahren gem. § 599 Abs. 2 ZPO) oder
- der Antrag auf Bewilligung einer Räumungsfrist gem. § 721 Abs. 1 S. 3 ZPO).
Da die Abgrenzung der übersehenen Einwendungen vom versehentlich nicht beschiedenen Haupt- oder Nebenpunkt problematisch sein kann, wird in entsprechenden Fällen empfohlen, neben dem Urteilsergänzungsantrag auch Berufung einzulegen (vgl. Geisler jurisPR-BGH-ZivilR 23/2009 Anm. 2).
Praxishinweis:
Die Urteilsergänzung nach § 321 ZPO ist von der jederzeit möglichen Berichtigung der offenbaren Unrichtigkeiten nach § 319 ZPO zu unterscheiden. Auch im Falle von "offenbaren Unrichtigkeiten" muss aus Gründen des sichersten Wegs die Berufung parallel eingelegt werden, denn ob das Verfahren nach § 319 ZPO zum Erfolg führt, ist ungewiss. Wird die offenbare Unrichtigkeit (auch nur von Amts wegen) berichtigt, wird die Berufung indes unbegründet (vgl. Eichele/Hintz/Oberheim, a.a.O., Kap. D, Rn 217 m.w.N.).