1. Allgemeines
Jede sachliche oder förmliche Unrichtigkeit des Protokolls (vgl. BAG, Beschl. v. 25.11.2008 – 3 AZB 64/08, NJW 2009, 1162 f.) kann jederzeit – auch in der Rechtsmittelinstanz – berichtigt werden (vgl. bereits BGH, Urt. v. 12.2.1958 – V ZR 12/57, NJW 1958, 711 f.). Zwingend notwendig ist ein Protokollberichtigungsantrag, wenn die Beweiskraft des Protokolls beseitigt werden muss (§ 165 ZPO). Die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, d.h., der äußere Hergang der Verhandlung kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Dazu zählen:
- die formalen Angaben des § 160 Abs. 1 ZPO,
- die Verlesung und damit der Inhalt der Anträge (§ 297 Abs. 1, 2 ZPO),
- die Tatsache der Güteverhandlung unter Erörterung des Sach- und Streitstands (§ 278 Abs. 2 ZPO),
- die mündliche Verhandlung und die Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme (§ 285 Abs. 1 ZPO) unter Erörterung des Sach- und Streitstands (§ 279 Abs. 3 ZPO), dass ein Zeuge/Sachverständiger/vernommene Partei ausgesagt hat und
- die Entscheidungsverkündung (vgl. Zöller/Stöber, a.a.O., § 165 Rn 2 m.w.N.).
Hinweis:
Ob durch eine nachgeholte Protokollberichtigung (von Amts wegen oder auf Antrag des Gegners) einer bereits erhobenen Rüge der Boden entzogen werden kann, kann zweifelhaft werden. Die h.M. hält eine entsprechende Rügeverkümmerung für nicht möglich (vgl. Doukoff, a.a.O., Rn 121 m.w.N.). Das könnte fraglich sein, denn auch im Strafprozess war eine Protokollberichtigung, die einer erhobenen Rüge den Boden entzog, unzulässig, bis diese Rechtsprechung durch den Beschluss des Großen Senats für Strafsachen (v. 23.4.2007 – GSSt 1/06, NJW 2007, 2419 ff.) geändert und durch das BVerfG (Beschl. v. 15.1.2009 – 2 BvR 2044/07 = NJW 2009, 1469 ff.) gebilligt wurde. Die zugrunde liegenden Argumente beanspruchen im Straf- und Zivilprozess aber gleichermaßen Geltung, so dass eine Rechtsprechungsänderung nicht ausgeschlossen ist (vgl. Foerster/Sonnabend NJW 2010, 978 ff.).
2. Inhalt von Erklärungen
Besonders wichtig ist, dass der Inhalt von Parteierklärungen,
- z.B. hinsichtlich Abschluss und Inhalts eines Vergleichs, sowie dessen Verlesung und Genehmigung (BGH, Urt. v. 18.6.1999 – V ZR 40/98, NJW 1999, 2806 f.),
- einer Klagerücknahme (vgl. BSG, Urt. v. 31.1.1963 – 9 RV 962/61, NJW 1963, 1125 f.) oder
- eines Rechtsmittelverzicht (vgl. BGH, Beschl. v. 4.7.2007 – XII ZB 14/07, NJW-RR 2007, 1451 f.; a.A. ggf. BGH, Urt. v. 8.12.1993 – XII ZR 133/92, NJW-RR 1994, 386) oder
- der Inhalt von Zeugen-/Sachverständigen-/Parteiaussagen (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.1981 – IVa ZR 152/80, NJW 1982, 1052 f.; BGH, Urt. v. 3.6.2014 – VI ZR 394/13, NJW 2014, 2797 f.) oder
- das Ergebnis eines Augenscheins oder der Güteverhandlung (vgl. Zöller/Stöber, a.a.O., § 165 Rn 2 m.w.N.)
nicht der Beweiskraft des § 165 ZPO unterfällt. Gibt das Protokoll den Inhalt von Erklärungen unzutreffend wieder, muss das Protokoll dennoch berichtigt werden. Das kann auch bei einer unvollständigen Wiedergabe der Fall sein, nicht aber bei vollständig fehlender Wiedergabe eines Vorgangs oder einer Äußerung. Denn dann handelt es sich nicht um einen Protokollberichtigungsantrag, sondern um einen Antrag auf Aufnahme weiterer Äußerungen/Sachverhalte i.S.d. § 160 Abs. 4 ZPO in das Protokoll (vgl. Zöller/Stöber, a.a.O., § 164 Rn 2; OLG Schleswig, Beschl. v. 25.2.2011 – 5 W 7/11, MDR 2011, 751).
Hinweis:
Ein entsprechender Antrag auf Aufnahme bestimmter Vorgänge oder Äußerungen in das Protokoll ist nur in der mündlichen Verhandlung möglich, der nur durch Beschluss des Gerichts zurückgewiesen werden kann, wenn die zu protokollierende Tatsache unerheblich ist (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 25.2.2011 – 5 W 7/11, MDR 2011, 751). Ein ablehnender Gerichtsbeschluss ist unanfechtbar (§ 160 Abs. 4 S. 3 ZPO) und kann auch nicht mit einem Antrag auf Protokollberichtigung gerügt werden. Er kann aber einen konkreten Anhaltspunkt für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen darstellen (vgl. Eichele/Hintz/Oberheim, a.a.O., Kap. D, Rn 165).
Wird eine inhaltliche Unrichtigkeit des Protokolls in der Berufungsbegründung gerügt, gibt das Berufungsgericht die Akte an das erstinstanzliche Gericht mit der Bitte um Prüfung zurück, ob eine Protokollberichtigung (von Amts wegen) angezeigt ist (vgl. Eichele/Hintz/Oberheim, a.a.O., Kap. D Rn 176).
3. Protokoll und berufungsrechtliche Konsequenzen
a) "Schwaches" Protokoll aus sich heraus, Gebotensein einer Neufeststellung
Die vollständige Protokollierung der Zeugen-/Sachverständigen-/Parteiaussage ist die Ausnahme; regelmäßig erfolgt nur eine Zusammenfassung der Aussage, die sodann in das Protokoll diktiert wird. Unvollständigkeiten und Missverständnisse kommen in nicht wenigen Fällen vor. Es kann sein, dass die Auskunftsperson vor dem Erstgericht nur deshalb keine näheren Angaben gemacht hat, weil das Gericht bereits die allgemein gehaltenen Aussagen für ausreichend hielt und daher keine weitere Konkretisierung verlangte; es ist aber auch möglich, dass die Auskunftsperson weitere Einzelheiten geschildert hat, die dem Erstgericht bei der Urteilsfällung noch gegenwärtig waren, die aber im Protokoll nicht f...