a) Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente
Gemäß § 12a SGB II sind Leistungsberechtigte u.a. grundsätzlich verpflichtet, ab Vollendung des 63. Lebensjahres durch Rentenantrag ihre Hilfebedürftigkeit zu beseitigen oder zu vermindern (Ausnahmen hiervon bestimmt die Unbilligkeits-VO v. 14.4.2008 – BGBl I, S. 734). Geschieht dies trotz Aufforderung des Jobcenters nicht, kann es gem. § 5 Abs. 3 SGB II den Antrag stellen. In der öffentlichen Diskussion wird hier von "Zwangsverrentung" gesprochen. In Urteilen vom 9.3.2016 (B 14 AS 3/15 R) und vom 23.6.2016 (B 14 AS 46/15 R) bestätigt das BSG hierzu seine bisherige Rechtsprechung (s. bereits BSG, v. 19.8.2015 – B 14 AS 1/15 R; vgl. Sartorius/Pattar ZAP F. 18, S. 1447, 1449). Im Urteil vom 9.3.2016 (B 14 AS 3/15 R) geht das BSG sogar so weit anzunehmen, dass das Jobcenter ohne Mitwirkung des Betroffenen eine Rentenauskunft einholen dürfe, weil die Erhebung dieses Datums beim Betroffenen mit unverhältnismäßigem Aufwand i.S.v. § 67a Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Buchst. b SGB X verbunden sei.
Praxishinweise:
Weil Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung keine aufschiebende Wirkung haben (§ 39 Nr. 3 SGB II), empfiehlt sich zur Vermeidung einer wirksamen Rentenantragstellung durch das Jobcenter ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG.
§ 6 der o.g. Unbilligkeits-VO wird ab 1.1.2017 neu gefasst: Unbillig ist hiernach die Inanspruchnahme der Altersrente, wenn Leistungsberechtigte hierdurch hilfebedürftig i.S.d. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 ff. SGB XII) würden. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Betrag i.H.v. 70 % der bei Erreichen der Altersgrenze (§ 7a SGB II) zu erwartenden monatlichen Regelaltersrente niedriger ist, als der zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Unbilligkeit maßgebende Bedarf der leistungsberechtigten Person nach dem SGB II. Der bisherige § 6 wird § 7.
b) Einkommensberechnung bei Selbstständigkeit
Die Einkommensermittlung bei Selbstständigen hat schon in der Vergangenheit öfters Probleme bereitet. Im Urteil vom 17.2.2016 (B 4 AS 1/15 R) entschied das BSG nun, dass kein horizontaler Verlustausgleich zwischen mehreren Gewerbebetrieben der Leistungsberechtigten stattfinden dürfe, weil die seit 2008 geltende Alg II-VO gerade nicht mehr auf steuerrechtliche Vorschriften, sondern auf den einzelnen Betrieb abstelle.
c) Begrenzung der rückwirkenden Aufhebung wegen Verbrauchs bereiter Mittel
In einem Nichtannahmebeschluss (v. 1.4.2016 – B 14 AS 286/15 B) hat das BSG seine jüngere Linie (Urt. v. 10.9.2013 – B 4 AS 89/12 R; Sartorius/Pattar ZAP F. 18, S. 1365) bekräftigt, dass Selbsthilfemittel (Einkommen und Vermögen) nur so lange angerechnet werden können, wie sie den Leistungsberechtigten als "bereite Mittel" tatsächlich zur Verfügung stehen; nach ihrem Verbrauch dürfen sie daher bei der aktuellen Leistungsbewilligung nicht mehr angerechnet werden.
Bei einer rückwirkenden Aufhebung des Bewilligungs-VA wegen einer verschwiegenen Einnahme gem. § 48 SGB X hat ein Verbrauch der "bereiten Mittel" jedoch für den Bewilligungszeitraum des Zuflusses keinen Einfluss. Hintergrund dieser Unterscheidung ist folgende Überlegung: Wenn das Jobcenter bei der Bewilligung nicht (mehr) bereite Mittel entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes (§ 11 Abs. 3 S. 3 SGB II) als Einkommen anrechnen würde, könnten die Leistungsberechtigten ihre menschenwürdige Existenz nicht sichern. Deshalb muss als ungeschriebene Ausnahme von der gesetzlichen Regel die Anrechnung unterbleiben. Bei rückwirkender Aufhebung zu viel gezahlter Leistungen ist das jedoch anders: Die menschenwürdige Existenz war ja (durch die rechtswidrig zu hohen Leistungen) sichergestellt, unabhängig davon, ob die zugeflossene Einnahme noch bereites Mittel war oder nicht. In diesem Leistungszeitraum kann – auch durch die Aufhebung – rückwirkend keine Situation mehr entstehen, in der es zu einer Unterdeckung der menschenwürdigen Existenz kommt. Daher ist für eine Ausnahme vom Gesetzeswortlaut hier kein Raum. Der Verbrauch ist damit für den in der Vergangenheit liegenden Bewilligungszeitraum, in dem die Einnahme zugeflossen ist, keine erneute "wesentliche Änderung". Von Bedeutung ist das Ausgabeverhalten erst für den Folgezeitraum. Hier muss gem. § 45 SGB X überprüft werden, ob das Jobcenter aus der damaligen Sicht für die Zukunft richtig entschieden hat. Waren zu Beginn des Folgebewilligungszeitraums die Einnahmen bereits verbraucht, durften sie nach der o.g. ungeschriebenen Ausnahme von der Regel nicht angerechnet werden. Die Folgebewilligung ist daher nur insoweit rechtswidrig zu hoch, wie den Leistungsberechtigten zum Erlasszeitpunkt des Bewilligungs-VA noch bereite Mittel zur Verfügung gestanden haben; sie kann also auch nur insoweit aufgehoben werden. Für die Frage, ob die bereiten Mittel bereits verbraucht waren, tendiert das BSG dazu, die Leistungsberechtigten als beweispflichtig anzusehen.
d) Glücksspielgewinn/Beweislastumkehr bei Anhaltspunkten für verschwiegenes Einkommen in der Vergangenheit
Hinsichtlich der Beweislastumkehr ähnlich ist das BSG-Urteil vom 15.6.2016 (B 14 AS 41/15 R): Ein spielsüchtiger Leistungsberechtigter hatte über einen längeren Zeitraum Automaten-...