a) Sachverhalt und Hintergrund
Im September 2014 beschloss der EZB-Rat (gegen die Stimme des Bundesbankpräsidenten) ein Programm zum Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere (Asset-Backed Securities Purchase Programme, ABSPP), wodurch die Transmission der Geldpolitik verstärkt werden soll. Das heißt, die Kreditversorgung der Wirtschaft im Euroraum soll durch die Senkung der langfristigen Zinsen unterstützt und damit die Investitionsgüternachfrage angekurbelt werden. Zusätzlich soll durch die Geldmengenausweitung das Inflationsziel von unter, aber nahe bei 2 % erreicht werden (vgl. Sinn, Der schwarze Juni, S. 246). Am 2.10.2014 gab die EZB die operativen Modalitäten zum Ankauf von gedeckten Schuldverschreibungen (CBPP3) bekannt. Daneben stellte die EZB am 22.1.2015 das Programm zum Ankauf von Anleihen von im Euroraum ansässigen Zentralstaaten, Emittenten mit Förderauftrag und europäischen Institutionen vor (PSPP), sowie am 10.3.2016 ein weiteres Programm, um den Ankauf von auf Euro lautenden Investment-Grade-Anleihen von Unternehmen zu ergänzen (CSPP).
Die genauen Voraussetzungen dieser Programme können dahingestellt bleiben. Wesentlich ist, dass einerseits ein Ausfallrisiko dieser Wertpapiere in kaum abschätzbarer Höhe auf die EZB bzw. die Zentralbanken der Euroländer (ESZB) verlagert wurde und andererseits immense Mengen an Geld von der Zentralbank aufgewendet werden müssen. Ab Januar 2015 wurden monatliche Ankäufe von Vermögenswerten i.H.v. 60 Mrd. Euro durchgeführt. Mit Wirkung zum 1.4.2016 wurde das Volumen der monatlichen Ankäufe von 60 Mrd. auf 80 Mrd. Euro erhöht; ab April 2017 ist es wieder auf 60 Mrd. Euro gesunken. Die Ankäufe sollten mindestens bis Ende März 2017 laufen und sind mittlerweile auf Ende 2017 verlängert worden. Den weitaus größten Teil nimmt das PSPP-Programm ein, d.h. der Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors. Es ist prognostiziert, dass das Eurosystem Ende 2017 Wertpapiere i.H.v. 2.280 Mrd. Euro erworben haben wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.2017 – 2 BvR 859/15 u.a., Rn 10), wobei griechische Anleihen im Rahmen dieses Programms bis zum 28.7.2016 nicht programmfähig waren und bislang nicht gekauft wurden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.2017 – 2 BvR 859/15 u.a., Rn 85). Programmfähig sind Anleihen mit einer Laufzeit von zwei bis unter 31 Jahren (ab Januar 2017 zwischen einem und 31 Jahren) und einer Mindestrendite von minus 0,4 %, wobei für einen Emittenten eine Gesamt-Ankaufsobergrenze von 33 % der ausstehenden Wertpapiere dieses Emittenten gilt (vgl. BVerfG a.a.O., Rn 11, 89).
Hinweis:
Wenn hierfür teilweise von "aufgewendetem Geld" oder Geld aus der "Druckerpresse" gesprochen wird, ist das nur bildlich zu verstehen. Das bedeutet nicht, dass das Geld tatsächlich gedruckt wird, sondern vielmehr handelt es sich um eine elektronische Buchung (Gutschrift) auf das Konto des Anleihenverkäufers bei der Zentralbank. Damit ist Zentralbankgeld geschaffen worden (vgl. Issing, Einführung in die Geldtheorie, 15. Aufl., S. 34).
b) Vorlagefragen
Nach Ansicht des BVerfG bestehen Zweifel, ob das PSPP-Programm eine Umgehung des Verbots monetärer Haushaltfinanzierung, der Überschreitung des geldpolitischen Mandats der EZB durch Wirtschaftspolitik und die unbegrenzte Risikoverteilung bei Ausfällen von Anleihen der Emittenten zwischen den nationalen Zentralbanken des Eurosystems ist, und damit gegen Art. 123, 125 AEUV sowie gegen Art. 4 Abs. 2 EUV (i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG) verstößt. Wäre das so, würde sogar ein Ultra-vires-Akt vorliegen (vgl. BVerfG a.a.O., Rn 62).
aa) Verstoß gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV durch monetäre Staatsfinanzierung?
Art. 123 Abs. 1 AEUV verbietet, Anleihen unmittelbar (Primärmarkt) von einem ausgebenden Staat zu kaufen. Nach Ansicht des BVerfG soll ein indirekter Verstoß vorliegen, auch wenn die Anleihen auf dem Sekundärmarkt (vor allem: Börse) gekauft werden, weil dies im PSPP-Programm die gleiche Wirkung wie ein direkter Erwerb haben soll. Nach den Ankündigungen und Modalitäten des Programms soll zwar keine rechtliche, wohl aber eine faktische Gewissheit der Marktteilnehmer bestehen, die (erst-)erworbenen Anleihen (gleich einer Mittelsperson) an die EZB weiterverkaufen zu können. Das soll vor allem dann gelten, wenn eine Knappheit an programmfähigen Anleihen herrscht, so dass sich hinsichtlich der verbleibenden programmfähigen Anleihen die rechtliche Ungewissheit zur faktischen Gewissheit (bis zur Ankaufsobergrenze von 33 %) verdichten kann (vgl. BVerfG a.a.O., Rn 80 ff.).
Zur Vermeidung einer faktischen Gewissheit ist erforderlich, dass zwischen der Ausgabe eines Schuldtitels auf dem Primärmarkt und seinem Ankauf auf dem Sekundärmarkt eine Mindestfrist liegt, die in dem Programm zwar vorgesehen ist (Sperrfrist), aber nicht überprüft werden kann. Zwar sei es einleuchtend, dass die Sperrfrist nicht vorab bekanntgegeben wird, aber da das Programm seit zwei Jahren laufe, müsse eine Überprüfung ex post möglich sein (vgl. BVerfG a.a.O., Rn 95).
Um eine indirekte Staatsfinanzierung zu vermeiden, dürfe ein Halten der Anleihen bis zur Endfälligkeit nur die Ausnahme sein (vgl. BVerfGE 142, 123, 227 f...