Nach Ansicht des BVerfG bestehen Zweifel, ob das PSPP-Programm eine Umgehung des Verbots monetärer Haushaltfinanzierung, der Überschreitung des geldpolitischen Mandats der EZB durch Wirtschaftspolitik und die unbegrenzte Risikoverteilung bei Ausfällen von Anleihen der Emittenten zwischen den nationalen Zentralbanken des Eurosystems ist, und damit gegen Art. 123, 125 AEUV sowie gegen Art. 4 Abs. 2 EUV (i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG) verstößt. Wäre das so, würde sogar ein Ultra-vires-Akt vorliegen (vgl. BVerfG a.a.O., Rn 62).
aa) Verstoß gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV durch monetäre Staatsfinanzierung?
Art. 123 Abs. 1 AEUV verbietet, Anleihen unmittelbar (Primärmarkt) von einem ausgebenden Staat zu kaufen. Nach Ansicht des BVerfG soll ein indirekter Verstoß vorliegen, auch wenn die Anleihen auf dem Sekundärmarkt (vor allem: Börse) gekauft werden, weil dies im PSPP-Programm die gleiche Wirkung wie ein direkter Erwerb haben soll. Nach den Ankündigungen und Modalitäten des Programms soll zwar keine rechtliche, wohl aber eine faktische Gewissheit der Marktteilnehmer bestehen, die (erst-)erworbenen Anleihen (gleich einer Mittelsperson) an die EZB weiterverkaufen zu können. Das soll vor allem dann gelten, wenn eine Knappheit an programmfähigen Anleihen herrscht, so dass sich hinsichtlich der verbleibenden programmfähigen Anleihen die rechtliche Ungewissheit zur faktischen Gewissheit (bis zur Ankaufsobergrenze von 33 %) verdichten kann (vgl. BVerfG a.a.O., Rn 80 ff.).
Zur Vermeidung einer faktischen Gewissheit ist erforderlich, dass zwischen der Ausgabe eines Schuldtitels auf dem Primärmarkt und seinem Ankauf auf dem Sekundärmarkt eine Mindestfrist liegt, die in dem Programm zwar vorgesehen ist (Sperrfrist), aber nicht überprüft werden kann. Zwar sei es einleuchtend, dass die Sperrfrist nicht vorab bekanntgegeben wird, aber da das Programm seit zwei Jahren laufe, müsse eine Überprüfung ex post möglich sein (vgl. BVerfG a.a.O., Rn 95).
Um eine indirekte Staatsfinanzierung zu vermeiden, dürfe ein Halten der Anleihen bis zur Endfälligkeit nur die Ausnahme sein (vgl. BVerfGE 142, 123, 227 f.). Alle bisher erworbenen Staatsanleihen seien aber nicht wieder verkauft worden. Auch sei es unwahrscheinlich, dass alle über das Programm erworbenen Titel zum Ende des Programms sofort verkauft würden, da unter einer solchen Angebotsschwemme der Markt zusammenbrechen würde, so dass das Regel-Ausnahmeverhältnis von Verkauf und Halten bis zur Endfälligkeit in sein Gegenteil verkehrt werde (vgl. BVerfG a.a.O., Rn 98). Der Erwerb von Papieren mit negativer Rendite (bis 0,4 %) führe dazu, dass der ausgebende Staat einen Gewinn erziele, der von den nationalen Zentralbanken finanziert werde (vgl. BVerfG a.a.O., Rn 99).
All diese Argumente des BVerfG überzeugen nicht: Es war von Anfang an klar, dass die EZB im Rahmen ihrer Geldpolitik grundsätzlich unbegrenzt Titel der Staaten auf dem Sekundärmarkt ankaufen darf (vgl. Issing, Der Euro, S. 49). Auch nach Art. 18.1 der Satzung der EZB kann die EZB börsengängige Wertpapiere oder Edelmetalle kaufen, verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen (vgl. Thiele, a.a.O., S. 42 m.w.N.). Ein Erwerb von Anleihen auf dem Sekundärmarkt setzt nämlich voraus, dass sich zunächst Erstabnehmer der Anleihen gefunden haben, die diese nun auf dem Sekundärmarkt wieder verkaufen. Der entsprechende Anleihen ausgebende Staat erhält durch diese Maßnahme der EZB unmittelbar auch keine zusätzlichen Finanzmittel. Für ihn ändert sich – im Falle des Ankaufs durch die EZB – lediglich der Gläubiger (vgl. Thiele, a.a.O., S. 73). Es erscheint inkonsequent, einerseits die bekannten Ankündigungen und Modalitäten des Programms zum Kritikpunkt der faktischen Gewissheit zu machen, aber andererseits die ex-post-Bekanntgabe der Mindestfristen zu fordern, woraus gerade weitere Modalitäten ableitbar wären.
Nachdem das Programm erst seit zwei Jahren läuft, aber Schuldtitel mit einer Laufzeit von bis zu 31 Jahren gekauft werden sollen, kann aus dem bisher noch nicht stattgefundenen Wiederverkauf noch gar keine Aussage über eine Umkehrung des Regel-Ausnahmeverhältnisses getroffen werden. Überdies: Sinn und Zweck des Programms soll es sein, dem Markt Geld zuzuführen (Geld gegen Anleihe), so dass es gerade widersinnig wäre, innerhalb der kurzen Frist seit Beginn des Programms einen Geldentzug (Verkauf der Anleihe gegen Geld) zu erwarten.
Deswegen kann auch der ggf. punktuell prima facie richtige Einwand der Staatsfinanzierung durch die Notenbank im Falle des Kaufes von Anleihen mit negativer Rendite nicht zu der Folgerung der verbotenen mittelbaren Staatsfinanzierung statt einer geldpolitischen Maßnahme führen. Eine negative Rendite kann sich nur in einem Niedrigzinsumfeld mit einer aus Rezessionsängsten gespeisten Investitions- und Konsumzurückhaltung unternehmerischer und privater Kunden ergeben, wobei die EZB sogar Strafzinsen auf Liquiditätsüberschüsse erhebt (ein unstrittig geldpolitisches Instrument gem. Art. 127 Abs. 2 Spiegelstrich 1 AEUV).
Hinweis:
Würde die EZB Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit kaufe...