Bereits berichtet wurde über den Beschluss des BGH vom 6.2.2018 (2 StR 163/17, NStZ-RR 2018, 219 = StRR 8/2018, 13; Burhoff ZAP F. 22 R, S. 1063, 1067). Der BGH hatte in der Entscheidung ein Beweisverwertungsverbot bei unterbliebener Belehrung des Beschuldigten über die Möglichkeit der Pflichtverteidigerbestellung (§ 136 Abs. 1 S. 3 Hs. 2 StPO a.F. [jetzt § 136 Abs. 1 S. 5 Hs. 2 StPO]; zu den Belehrungspflichten Burhoff, EV, Rn 3405 ff.) abgelehnt. Auf der Linie dieser BGH-Entscheidung liegt auch der OLG Hamm (Beschl. v. 15.5.2018 – 4 RVs 47/18, StRR 8/2018, 17).
In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall war im Rahmen des Ermittlungsverfahrens eine Belastungszeugin richterlich vernommen worden. Der Angeklagte war von dieser Vernehmung ausgeschlossen, ohne dass ihm ein Pflichtverteidiger bestellt wurde. In der Hauptverhandlung hat das AG dann u.a. den Vernehmungsrichter als Zeugen vernommen sowie einen Arztbericht verlesen und Lichtbilder in Augenschein genommen. Das AG hat den Angeklagten freigesprochen, das LG hat ihn auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin verurteilt. Das OLG hat die Entscheidung des LG bestätigt.
Nach Auffassung des OLG war nicht zu beanstanden, dass das LG von der Verwertbarkeit der Aussage der richterlichen Verhörperson ausgegangen sei. Zwar sei zutreffend, dass dem Angeklagten, der zum Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung der Zeugin keinen Verteidiger gehabt habe, nach § 141 Abs. 3 StPO (a.F.) i.V.m. Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK aber ein Verteidiger hätte bestellt werden müssen. Der Angeklagte habe zwar von der richterlichen Vernehmung der Belastungszeugin ausgeschlossen werden und eine Benachrichtigung von der Vernehmung gem. § 168c Abs. 3, 5 StPO unterbleiben dürfen, da sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Ermittlungsrichterin eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs bejaht hätten. Der so entstandenen Beschränkung des Fragerechts des Angeklagten hätte allerdings durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers begegnet werden müssen.
Dies führe aber – so die Auffassung des OLG – nicht zur Unverwertbarkeit der Aussage der richterlichen Verhörperson, sondern – vergleichbar mit Fällen einer pflichtwidrig versagten Beteiligung an der richterlichen Vernehmung oder des anonymen Zeugen – zu besonders strengen Beweis- und Begründungsanforderungen. Der Tatrichter habe zu beachten, dass die Glaubwürdigkeitsbeurteilung mit dem Instrumentarium der Aussageanalyse begrenzt sei, weil die Aussage durch das Fehlen eines kontradiktorischen Verhörs nur beschränkt aufgeklärt und vervollständigt werden könne. Auf die Angaben des Vernehmungsrichters könne eine Feststellung daher nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt würden. Dass eine Überprüfung der von dem Vernehmungsrichter wiedergegebenen Aussage nach diesen Maßstäben erfolgt sei, müsse der Tatrichter in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise im Urteil deutlich machen. Diesen Maßstäben genügte nach Auffassung des OLG das Urteil des LG. Darüber hinaus habe das LG zutreffend auf außerhalb der Aussage stehende, wichtige Gesichtspunkte abgestellt.
Hinweis:
Was an dieser Entscheidung erstaunt: Das OLG geht mit keinem Wort auf die durch das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" vom 17.8.2017 (BGBl I, S. 3202) geschaffene neue Rechtslage ein, sondern zieht sich auf die zum alten Recht ergangene Rechtsprechung zurück (vgl. dazu BGHSt 34, 231; BGH NStZ 1998, 312; StV 2017, 776; s. auch noch BGHSt 46, 93, 103). Zwar hat zum Zeitpunkt der Vernehmung der Belastungszeugin der neue § 141 Abs. 3 S. 4 StPO noch nicht gegolten, die Neuregelung hat aber genau den hier vom OLG entschiedenen Fall im Auge und sieht dafür jetzt zwingend die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor (vgl. dazu Burhoff, EV, Rn 3111 ff.; ders. StraFo 2018, 405; ders. StRR 5/2018, 4 ff., ders. ZAP F. 22, S. 889). Man hätte daher m.E. schon erwarten können/dürfen, dass das OLG im Hinblick auf die neue Rechtslage und die Intention des Gesetzgebers zu der neu zu entscheidenden Frage eines Beweisverwertungsverbots Stellung nimmt. Aber leider hält man nur an alten Zöpfen fest.