In ZAP F. 22 R, S. 1063 haben wir über den Inhalt des Koalitionsvertrags der Großen Koalition 2017 berichtet. Inzwischen hat das das Parlament seine Arbeit aufgenommen und es kann auf einige Gesetzesentwürfe oder zumindest auf Referentenentwürfe hingewiesen werden. Im Einzelnen:

1. Verfahrensbeschleunigung à la AfD-Fraktion

Bereits im Gesetzgebungsverfahren befindet sich der "Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Inneren Sicherheit – Verfahrensbeschleunigungsgesetz und verbesserte Eingriffsgrundlagen der Justiz" (BT-Drucks 19/5040), den die AfD-Fraktion eingebracht hat und der am 19.10.2018 im Bundestag erstmals beraten worden ist. Der Entwurf enthält neben Änderungen des StGB auch solche in der StPO, und zwar:

  • Die Absprache – § 257c StPO – soll abgeschafft werden.
  • Die Revision (§§ 336 ff. StPO) soll als Rechtsmittel abgeschafft werden, Urteile sollen grundsätzlich nur noch im Wege der Annahmeberufung anfechtbar sein.
  • Es soll Änderungen im Bereich der Untersuchungshaft geben, und zwar eine Erweiterung des Katalogs des § 112a StPO – Wiederholungsgefahr – um die §§ 224 Abs. 1 S. 2, 249, 250, 251, 252, 255, 306a, 316a StGB. Außerdem soll die Untersuchungshaft länger als sechs Monate dauern dürfen (§ 121 Abs. 1 StPO), wenn Wiederholungsgefahr besteht.
  • Eingeführt werden soll ein ausdrücklich vorgeschriebenes Analogieverbot für verbotene Vernehmungsmethoden nach § 136a StPO n.F.
  • Umgestaltung des Beweisantragsrechts in den §§ 244, 246 StPO, indem die Möglichkeit geschaffen wird, eine beantragte Beweiserhebung dann als verspätet abzulehnen, wenn sie fristgerecht hätte beantragt werden können. Das soll auch dann gelten, wenn der Antrag ansonsten nicht unverzüglich gestellt wurde. Also: Verspätung (?) als Ablehnungsgrund.
  • Erweiterung des Strafbefehlsverfahren nach § 408a StPO auf alle Gerichtszuständigkeiten und alle gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen, wenn der Angeschuldigte einen gewählten oder mit seiner Zustimmung bestellten Verteidiger hat.
 

Hinweis:

Der Gesetzesentwurf ist u.a. überschrieben mit "Verfahrensbeschleunigungsgesetz". Wie man das allerdings erreichen will, indem man die 2009 mit viel Mühe gefundene Abspracheregelung wieder abschafft, erschließt sich nicht. Folge ist doch, dass nicht alle, aber ggf. doch recht viele, vor allem umfangreiche und schwierige Verfahren wieder (noch) länger dauern. Und: Sie gehen ggf. ein zweites Mal in die Tatsacheninstanz, da man ja die Revision abgeschafft hat.

2. Recht des Angeklagten auf Anwesenheit in der Revisionshauptverhandlung

Ebenfalls bereits im Gesetzgebungsverfahren befindet sich der "Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung" (BT-Drucks 19/4467). Der Entwurf soll EU-Recht umsetzen. Unter anderem sieht der Entwurf eine Änderung des § 350 StPO dahin vor, dass auch für den inhaftierten Angeklagten ein Recht auf Anwesenheit in der Revisionshauptverhandlung geschaffen werden soll.

3. Umsetzung der PKH-Richtlinie (EU)/Neuordnung des Rechts der Pflichtverteidigung

Das BMJV hat jetzt einen Referentenentwurf zum "Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung", also einer Änderung der §§ 140 ff. StPO, vorgelegt. Hintergrund dieses Entwurfs ist die sog. PKH-Richtlinie der EU, die bis zum 29.5.2019 in nationales Recht umgesetzt sein muss und die weitgehende Vorgaben für das Recht der Pflichtverteidigung macht, die zu Gesetzesänderungen zwingen (vgl. dazu auch Bahns/Burkert/Guthke/Kitlikoglu/Scherzberg, Neuordnung der Pflichtverteidigerbestellung, Policy Paper der Strafverteidigervereinigungen, 2018; Schlothauer StV 2018, 169; Schlothauer/Neuhaus/Matt/Brodowski HRRS 2018, 55). Vorgesehen ist auf der Grundlage u.a. Folgendes (zum bisherigen Recht Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 2990 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]):

  • Ein Fall notwendiger Verteidigung liegt nicht mehr erst mit der Vollstreckung von Untersuchungshaft oder vorläufiger Unterbringung vor, sondern bereits mit der Vorführung vor einen Richter.
  • Ein Fall notwendiger Verteidigung soll in Zukunft auch beim Schöffengericht und allgemein ab einer Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe gegeben sein.
  • Der Beschuldigte erhält ein eigenes Antragsrecht schon im Ermittlungsverfahren. Darüber ist er zu belehren.
  • Insgesamt sollen Entscheidungen über die Pflichtverteidigerbestellung mit der sofortigen Beschwerde überprüfbar sein.
  • Hinsichtlich der Personen, die zu Pflichtverteidigern bestellt werden können, soll u.a. geregelt werden, dass bei einer gerichtlichen Auswahlentscheidung grundsätzlich nur Fachanwältinnen oder Fachanwälte für Strafrecht oder aber solche Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte bestellt werden sollen, die gegenüber der Rechtsanwaltskammer ihr Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen bekundet haben.
  • Das Recht des Beschuldigten auf Verteidigerwechsel soll erstmals umfassend geregelt werden. Dabei wird die Rechtsprechung zum Verteidigerwechsel aufgegriffen. Vorgesehen ist auch ein Recht auf Verteidigerwechsel in den Fällen, in denen dem Beschuldigten bei der Bestellung eines "Pflichtverteidigers der ersten Stunde" aufgrund der besonderen Ei...

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