Die Verletzung der Belehrungspflicht des Betroffenen nach § 163a Abs. 4 S. 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO begründet auch im Bußgeldverfahren grundsätzlich ein Verwertungsverbot. Das ist das Fazit aus dem Beschluss des OLG Bamberg vom 27.8.2018 (2 Ss OWi 973/18).
Das AG hat den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG verurteilt. Es hatte seine Überzeugung davon, dass der Betroffene alkoholisiert mit seinem Pkw gefahren ist, mit den Aussagen von als Zeugen vernommenen Polizeibeamten begründet. Diese hätten den Betroffenen zwar nicht "fahren sehen", jedoch habe der Betroffene gegenüber Zeugen angegeben, "dass er mit dem Pkw gefahren sei". Dagegen wendet sich der Betroffene u.a. mit der Verfahrensrüge. Er beanstandet, dass das AG die Verurteilung auf die Aussagen der Zeugen über seine Angaben bei seiner ersten Befragung beim Antreffen an der Wohnung gestützt habe, obwohl er vor der Befragung von den beiden Polizeibeamten nicht über sein Schweigerecht belehrt worden sei. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.
Das OLG geht davon aus, dass der Betroffene hätte belehrt werden müssen. Das folge aus der "Stärke des Tatverdachts" (grundlegend u.a. BGHSt 38, 214 = NJW 1992, 1463; OLG Zweibrücken VA 2010, 195). Zwar stehe den ermittelnden Polizeibeamten ein Beurteilungsspielraum zu, dessen Grenze sei hier jedoch in objektiv nicht mehr vertretbarer Weise überschritten worden. Der Tatverdacht des Führens eines Kfz nach Alkoholgenuss in – zumindest für das Vorliegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit (§ 24a StVG) – relevanter Menge habe sich gegenüber dem Betroffenen nämlich im Zeitpunkt seiner ersten Befragung an bzw. in seiner Wohnung bereits in solchem Maße verdichtet gehabt, dass eine Belehrung des Betroffenen über die bestehende Aussagefreiheit unumgänglich gewesen sei. Den Polizeibeamten seien Umstände bekannt gewesen, die den Tatverdacht über einen allgemeinen Tatverdacht hinaus gegenüber dem Betroffenen signifikant verstärkt hätten. Der Betroffene sei somit ausdrücklich und unmissverständlich auf seine Aussagefreiheit hinzuweisen gewesen. Die Grenzen der informellen bzw. informatorischen Befragung seien eindeutig überschritten gewesen.
Aus diesem Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit folge – so das OLG – auch ein Beweisverwertungsverbot. Ein solches liege stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern. Das gelte auch im Bußgeldverfahren. Das OLG schließt sich der ganz h.M. im Schrifttum an (BeckOK-OWiG/Straßer [19. Ed.-Stand: 15.6.2018] § 55 Rn 38 ff.; Rebmann/Roth/Herrmann-Hannich OWiG [Stand: Mai 2017] § 55 Rn 9a; KK-OWiG/Lutz, 5. Aufl., § 55 Rn 16; s. auch Hecker NJW 1997, 1833; Brüssow StraFo 1998, 294; Gübner, in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. 2018, Rn 433). Der BGH habe die Frage zwar ausdrücklich offen gelassen (vgl. BGHSt 38, 214), allerdings könne im Bußgeldverfahren hinsichtlich der unterbliebenen Belehrung eines Betroffenen über sein Schweigerecht nichts anderes gelten als im Strafverfahren. Die Gesichtspunkte, die im Strafverfahren für ein Verwertungsverbot sprächen, seien auch im Bußgeldverfahren von Gewicht. Der Betroffene befinde sich hier häufig ebenso wie der Beschuldigte im Strafverfahren unvorbereitet und ohne Ratgeber in einer für ihn ungewohnten Lage.
Hinweise:
Die Entscheidung ist zutreffend. Den Ausführungen des OLG ist nichts hinzuzufügen, außer: Wenn man doch nur häufiger solche – die Betroffenenrechte – wahrenden Entscheidungen des OLG Bamberg lesen würde. Das ist leider nicht oder nur zu selten der Fall. Als Verteidiger muss man diese Entscheidung im Auge haben, denn die vom OLG entschiedene Konstellation ist sicherlich eine in der Praxis häufiger anzutreffende Fallgestaltung.
Der Verteidiger muss zudem darauf achten, dass er in der Hauptverhandlung der Verwertung der Zeugenaussagen zu den Angaben des Betroffenen widerspricht. Es gilt auch im Bußgeldverfahren die Widerspruchslösung des BGH (vgl. Burhoff, in Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. 2018, Rn 593; zur Widerspruchslösung eingehend auch Burhoff, HV, Rn 3740 ff.; ders. VA 2013, 16 u. 35).
Autor: Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg
ZAP F. 22 R, S. 1249–1262