I. Arbeitsvertragsrecht
1. Keine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vor der Entscheidung über einen Gleichstellungsantrag
§ 178 SGB IX regelt die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung: In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens 5 schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, werden als Schwerbehindertenvertretung eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt, das die Vertrauensperson im Falle der Verhinderung vertritt (§ 177 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Betriebs-, Personalräte und die anderen in § 176 S. 1 SGB IX genannten Gremien sind nach S. 2 der Vorschrift verpflichtet, auf die Wahl der Schwerbehindertenvertretung hinzuwirken.
Nach § 178 Abs. 2 S. 1 Hs.1 SGB IX müssen Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören. Die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht besteht u.a. grds. dann, wenn Arbeitgeber schwerbehinderten Menschen innerhalb derselben Dienststelle im Wege einer Umsetzung andere Aufgaben übertragen.
Diese Grundsätze gelten auch für die Umsetzung von behinderten Arbeitnehmern, die durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit (BA) schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind (§ 151 Abs. 1 SGB IX).
Hinweis:
Nach § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX (als § 95 Abs. 2 S. 3 SGB IX a.F. am 30.12.2016 in Kraft getreten) ist die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die Arbeitgeber ohne eine Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach S. 1 der Vorschrift aussprechen, unwirksam (s. BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 378/18, NJW 2019, 1016 und hierzu die Verfasser, ZAP F. 17 R, S. 950 f. m.w.N. und umfassend: Gundel, ZAT 2017, 50; Bayreuther, NZA 2017, 87.
Vorliegend wendet sich die Antragstellerin – nach erfolglosem vorgerichtlichen Verlangen – als die bei dem am Verfahren beteiligten Jobcenter gebildete Schwerbehindertenvertretung im Beschlussverfahren (§§ 2a Abs. 1 Nr. 3a, 81 Abs. 1 ArbGG) gegen das Jobcenter mit dem Antrag, es künftig zu unterlassen, behinderte Arbeitnehmer, die bei der BA einen Antrag auf Gleichstellung (§§ 2 Abs. 3, 151 Abs. 2 SGB IX) mit einem schwerbehinderten Menschen gestellt und dies dem Jobcenter mitgeteilt haben, auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen, ohne die Schwerbehindertenvertretung zuvor unterrichtet und angehört zu haben. Dem Antrag lag zugrunde, dass die in dem Jobcenter beschäftigte Arbeitnehmerin L., die als behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt war, am 4.2.2015 einen Gleichstellungsantrag stellte und den Geschäftsführer des Jobcenters hierüber unterrichtet. Am 9.11.2015 setzte das Jobcenter Frau L für die Dauer von 6 Monaten um und wies ihr einen anderen Arbeitsplatz zu, ohne die Schwerbehindertenvertretung zu unterrichten und anzuhören. Mit Beschluss der BA vom 21.4.2016 wurde Frau L rückwirkend zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung ab dem 4.2.2015 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Das Beschwerdegericht hat die zugunsten der Antragstellerin ergangene erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und den Antrag abgewiesen. Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin blieb erfolglos.
Das BAG hat am 22.1.2020 entschieden, Arbeitgeber seien nicht nach § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung von der beabsichtigten Umsetzung eines Arbeitnehmers (vorsorglich) zu unterrichten und sie hierzu anzuhören, wenn der als behinderter Mensch mit einem GdB von 30 anerkannte Arbeitnehmer die Gleichstellung nach §§ 2 Abs. 3, 151 Abs. 2 SGB IX beantragt – und dies dem Arbeitgeber mitgeteilt hat –, über den Gleichstellungsantrag zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht entschieden ist (BAG v. 22.1.2020 – 7 ABR 18/18, NZA 2020, 783).
Das Gericht begründet den Beschluss damit, die Beteiligungspflicht setze nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen der §§ 178 Abs. 2, 151 Abs. 1 und 2 SGB IX voraus, dass die beabsichtigte Umsetzung einen schwerbehinderten Menschen oder einen bereits durch Bescheid der BA mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten schwerbehinderten Menschen betrifft.
Nach § 151 Abs. 1 SGB IX gelten die Regelung des 3. Teils des SGB IX – in dem sich § 178 SGB IX befindet – für schwerbehinderte und diesen gleichgestellten behinderten Menschen. Menschen sind nach § 2 Abs. 2 Hs.1 SGB IX i.S.d. 3. Teils des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Bei einem GdB von unter 50 aber mindestens von 30 findet die Vorschrift nur Anwendung, wenn diese schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, was nach § 151 Abs. 2 S. 1 SGB IX durch rechtsbegründenden Verwaltungsakt der BA erfolgt und konstitutiv wirkt, (s. etwa bereits BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 434/13, NZA 2015, 358 Rn 48 und Greiner in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben, SGB IX, 14. Aufl., § 151 Rn 20). Demgegenüber gilt bei den kraft Gesetzes nach § 2 Abs. 2 SGB IX geschützten schwerbehinderten Personen, dass die Eigenschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen kraft Gesetzes gegeben ist und die behördliche Feststellung nur ein Mitte...