Das BAG setzt seine Rechtsprechung zur Zurückweisung von Vorbringen fort. Tatsachen, die den Vorwurf der groben Nachlässigkeit i.S.d. § 296 Abs. 2 ZPO und in der Folge eine Zurückweisung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln begründen, muss das Gericht positiv feststellen (vgl. BAG, Urt. v. 11.6.2020 – 2 AZR 400/19, NZA 2020, 1261).
Dem Zweiten Senat lag ein Kündigungsschutzrechtsstreit vor. Mit Beschl. v. 11.4.2017 hat das Arbeitsgericht der Beklagten aufgegeben, die betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung bis zum 31.5.2017 nach im Einzelnen näher konkretisierten Gesichtspunkten darzulegen, sowie dem Kläger, hierauf bis zum 31.7.2017 zu erwidern. Mit Schriftsatz vom 5.9.2017 hat die Beklagte ergänzend zur Begründung der Kündigung vorgetragen. Mit im Kammertermin vom 11.9.2017 nachgelassenem Schriftsatz vom 22.9.2017 hat der Kläger den Vortrag der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 5.9.2017 bestritten.
Während das ArbG der Klage unter Zurückweisung des Vorbringens der Beklagten im Schriftsatz vom 5.9.2017 als verspätet stattgab und das LAG die Berufung der Beklagten zurückwies, hatte die Revision der Arbeitgeberin vor dem Zweiten Senat des BAG Erfolg. Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht bzw. mitgeteilt werden, können gestützt auf die Vorschrift des § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden, wenn: (1) ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und (2) die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht.
Dem steht auch in Bestandsschutzstreitigkeiten § 61a ArbGG grds. nicht entgegen. § 282 Abs. 1 und 2 ZPO finden über § 46 Abs. 2 ArbGG Anwendung, wobei das Gericht im Parteiprozess die Parteien gem. § 129 Abs. 2 ZPO auffordern muss, die mündliche Verhandlung schriftsätzlich oder durch zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugebende Erklärungen vorzubereiten. Auch ist § 61a Abs. 5 ArbGG keine abschließende Regelung. § 61 Abs. 5 ArbGG tritt zwar in Bestandsschutzstreitigkeiten an die Stelle des § 296 Abs. 1 ZPO – und verdrängt § 56 Abs. 2 ArbGG. Er enthält aber keine abschließende Präklusionsregelung, weshalb § 296 Abs. 2 ZPO anwendbar bleibt.
Weiter bestätigt der Zweite Senat des BAG, dass allein aus der Nichteinhaltung der Frist nach § 132 ZPO keine Verspätung i.S.d. § 282 Abs. 2 ZPO folgt. Maßgeblich sei, ob die vortragende Partei davon ausgehen konnte, dass sich die Gegenseite ohne vorhergehende Erkundigungen zum Vorbringen erklären oder eine erforderliche Erkundigung vor der mündlichen Verhandlung einziehen könne.
Eine Verzögerung des Rechtsstreits liegt vor, wenn das Verfahren bei Zulassung des verspäteten Vorbringens – nicht ganz unerheblich – länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung.
Das BAG stellt ferner klar, dass § 296 Abs. 2 ZPO keine (anlasslose) "Entschuldigung" der verspätet vortragenden Partei fordert. Das Gericht muss die Tatsachen, auf die es die grobe Nachlässigkeit stützt, positiv feststellen und darf sich nicht lediglich auf allgemein gehaltene Ausführungen beschränken. Die Berufung auf "äußere Umstände", ohne diese zu benennen, oder das "verspätete Einreichen des Schriftsatzes" reichten nicht aus. Die Verspätung allein stelle kein Indiz für den Verschuldensgrad der Partei dar, weshalb das Gericht die beiden Voraussetzungen für eine Zurückweisung unterscheiden müsse. Das Gericht muss die Partei konkret auf die Tatsachen hinweisen, die nach seiner Auffassung eine grobe Nachlässigkeit rechtfertigen, und der Partei Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Erst dann muss die Partei die ihr mitgeteilten Anhaltspunkte entkräften.
Hinweise:
- Wird Sachvortrag wirksam zurückgewiesen, darf auch das Berufungsgericht diesen nicht berücksichtigen. Bei neuem Vortrag vor dem Kammertermin ist besondere Sorgfalt und Vorsicht geboten. Besteht die Gefahr der berechtigten Zurückweisung durch das Arbeitsgericht, kann es prozessual sinnvoll sein, erst in der etwaigen Berufungsinstanz weiter vorzutragen.
Das BAG konturiert mit seinem Urteil die Verhältnisse der Prozessförderungspflicht- und Präklusionsvorschriften zueinander und verlangt viererlei:
(1) Die positive Feststellung konkreter Anknüpfungspunkte für die Nachlässigkeit. Grobe Nachlässigkeit i.S.d. § 296 Abs. 2 ZPO liegt vor, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessförderung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 24.9.2019 – VIII ZR 289/18 Rn 20; BGH, Urt. v. 10.5.2016 – VIII ZR 97/15 Rn 15; BGH, Urt. v. 2.9.2013 – VII ZR 242/12 Rn 13). Allein die Fristversäumung ist keine grobe Nachlässigkeit.
(2) deren Benennung und
(3) die Gelegenheit zur Stellungnahme für die betroffene Partei vor der Entscheidung
(4) die Partei ist gem. § 61a Abs. 6 ArbGG über die Folgen einer Versäumung der gesetzten Frist zu belehren.