Das BAG hatte sich mit der Wahrung des Öffentlichkeitsgrundsatzes während der Nutzungsbeschränkungen der Sitzungssäle anlässlich der Corona-Pandemie zu befassen.
Der Beschluss des LAG vom 30.11.2021, mit dem der Protokollberichtigungsantrag der Beklagten zu 1. und der Beklagten zu 2. beschieden wurde, wies aus, dass im Sitzungssaal im Hinblick auf die Corona-Pandemie aufgrund der zur Verfügung stehenden Fläche nach den Vorgaben der Gerichtsverwaltung, die mit der Gesundheitsbehörde abgesprochen worden waren, die Anzahl der anwesenden Personen auf drei Richter und sieben weitere Personen begrenzt waren.
Diese zur Verfügung stehenden Plätze sind vollständig von den Verfahrensbeteiligten genutzt worden und standen für weitere Zuhörer nicht mehr zur Verfügung. Nach dem Protokoll der Sitzung vom 31.5.2021, auf die das Berufungsurteil ergangen ist, waren der Vorsitzende Richter, zwei ehrenamtliche Richter, die Klägerin mit ihrem Rechtsanwalt, die beiden Rechtsanwälte der beiden Beklagten, der Geschäftsführer der Beklagten zu 2. sowie der dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetretene Streitverkündete mit seinem Rechtsanwalt anwesend.
Die Rüge des Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzung hat vor dem BAG (Beschl. v. 2.3.2022 – 2 AZN 629/21, NJW 2022, 2949) Erfolg. Das Urteil des LAG ist nicht wirksam ergangen und daher aufzuheben. Gemäß § 52 S. 1 i.V.m. § 64 Abs. 7 ArbGG ist die Verhandlung vor dem LAG öffentlich. Der Grundsatz der Öffentlichkeit, der zu den Prinzipien demokratischer Rechtspflege gehört und auch in § 169 Abs. 1 S. 1 GVG niedergelegt ist, verlangt, dass jedermann nach Maßgabe des tatsächlich verfügbaren Raums Zutritt zur Verhandlung ermöglicht wird. Die Beachtung des Grundsatzes findet ihre Grenze in der tatsächlichen Unmöglichkeit, ihr zu entsprechen. Er ist nicht verletzt, wenn aus zwingenden Gründen Beschränkungen bestehen oder angeordnet werden müssen. Hierzu gehören insb. gegebene Raumbeschränkungen. Es besteht kein Anspruch der Öffentlichkeit auf so viele Plätze, wie Interessenten kommen. Zulässig ist auch eine Reduzierung der Zuhörerzahl in einem Sitzungssaal, um Abstandsregelungen im Zuge einer Pandemiebekämpfung einhalten zu können.
Die Verhandlung ist aber nur dann öffentlich, wenn beliebige Zuhörer, sei es auch nur in sehr begrenzter Zahl, die Möglichkeit des Zutritts haben (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.1953 – 5 StR 445/53 – zu III 2 b der Gründe, BGHSt 5, 75). Erforderlich ist, dass Zuhörer in einer Anzahl Einlass finden, in der sie noch als Repräsentanten einer keiner besonderen Auswahl unterliegenden Öffentlichkeit angesehen werden können. Ein einziger Platz für Zuhörer wäre zu wenig, weil dies zu einem faktischen Ausschluss der Öffentlichkeit führe. Ausgehend vom Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes kann auf dessen Einhaltung im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht verzichtet werden (§ 295 Abs. 2 ZPO; BAG, Beschl. v. 22.9.2016 – 6 AZN 376/16 Rn 18; vgl. für das zivilgerichtliche Verfahren: BGH, Beschl. v. 24.11.1993 – BLw 37/93 – zu II 3 der Gründe, BGHZ 124, 204; offengelassen von BGH, Beschl. v. 24.11.2020 – XI ZR 355/19, juris Rn 14). Der Grundsatz der öffentlichen mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme soll eine der öffentlichen Kontrolle entzogene Geheimjustiz verhindern. Vor allem dient die Gerichtsöffentlichkeit jedoch der Kontrolle der Justiz durch die Möglichkeit der Allgemeinheit, die Verhandlung zu beobachten. Sachfremde, „das Licht der Öffentlichkeit scheuende” Umstände sollen keinen Einfluss auf das Gericht und dessen Urteil gewinnen können. Die sachfremde Beeinflussung des Gerichts soll verhindert werden. Letztlich dient das Gebot der Öffentlichkeit durch seine Kontrollfunktion damit auch der Verfahrensfairness (BVerfG, Urt. v. 15.1.2015 – 2 BvR 878/14, juris Rn 22 ff.) und steht nicht im Belieben der Parteien. In anderen Verfahrensordnungen gelte ein abgeschwächtes Prinzip der Öffentlichkeit (vgl. BAG, Beschl. v. 22.9.2016 – 6 AZN 376/16, juris Rn 18).
Hinweise:
1. Kein anderes Gericht nimmt das Öffentlichkeitsprinzip so ernst wie das BAG. Entgegen der Rechtsprechung des BFH (seit BFH, Urt. v. 24.8.1990 – X R 45-46/90, BFHE 161, 427; zuletzt BFH, Urt. v. 25.11.2019 – IX B 71/19 Rn 4), BSG (vgl. BSG, Urt. v. 17.10.2018 – B 9 V 20/18 B Rn 14; BSG, Urt. v. 28.3.2000 – B 8 KN 7/99 R – zu (1) der Gründe) und BVerwG (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.11.2004 – 10 B 64/04, BVerwG, Urt. v. 4.11.1977 – IV C 71.77, juris), die sich allein auf die dortigen Verfahrensordnungen mit einem abgeschwächten Prinzip der Öffentlichkeit beziehen (vgl. BAG, 22.9.2016 – 6 AZN 376/16 Rn 18), ist der Öffentlichkeitsgrundsatz unverzichtbar und kann nicht eingeschränkt werden. Er ist stets zu gewährleisten. Der Gesundheitsschutz in Pandemiezeiten hat im arbeitsgerichtlichen Verfahren keinen absoluten Vorrang.
2. Die Konsequenz lautet: Wenn der Gerichtssaal für die Maßnahmen des Infektionsschutzes nicht groß genug ist, muss ein anderer Raum benutzt werden, ggf. muss auf Kosten der Steuerzah...