Im Folgenden werden einige der in der Mietrechtspraxis am häufigsten vorgetragenen Härtegründe einer eingehenden Betrachtung zugeführt.
a) Fehlender Ersatzwohnraum (§ 574 Abs. 2 BGB)
Der Härtegrund des fehlendes Ersatzwohnraums ist der in der Praxis häufigste Härtegrund, was in angespannten Mietlagen wie z.B. München noch verstärkt wird. Der Härtegrund entfällt nach zutreffender Ansicht nicht schon dann, wenn die Umzugsschwierigkeiten durch die Gewährung einer Räumungsfrist bis zu einem Jahr nach § 721 ZPO beseitigt werden könnten, weil § 574 BGB dem Mieter einen echten Anspruch gibt und die Gewährung einer Räumungsfrist im billigen Ermessen des Tatgericht steht (Schmidt-Futterer/Hartmann, a.a.O., § 574 BGB Rn 29 m.w.N.). Der Härtegrund liegt danach vor, wenn der Ersatzwohnraum „nicht beschafft werden kann”. Den Mieter trifft eine echte Obliegenheit, sich um Ersatzwohnraum zu kümmern, die sofort nach Zugang einer wirksamen Kündigung und nicht erst nach Rechtshängigkeit einer Räumungsklage oder nach Erlass eines Räumungsurteils entsteht (BGH, Urt. v. 22.5.2019 – VIII ZR 180/18, NJW 2019, 2765; LG München I, Urt. v. 6.12.1989 – 14 S 14920/89, WuM 1990, 153). Er genügt dieser Obliegenheit nur, wenn er alle ihm persönlich und wirtschaftlich zumutbaren Schritte unternimmt, wozu ggf. auch die Inanspruchnahme von Hilfe Dritter (Freunde und Bekannte) fällt, eine Ersatzwohnung zu finden (BGH, a.a.O; Grüneberg/Weidenkaff, 82. Aufl. 2023, § 574 BGB Rn 9). Regelmäßig erforderlich ist es für den Mieter, mehrere Zeitungsinserate aufzugeben, einen Makler einzuschalten und auf Internetsuchmaschinen geeignete Wohnungsgesuche zu schalten (Staudinger/Rolfs, a.a.O., § 574 BGB Rn 52 m.w.N.). Diese erfolglosen Bemühungen muss der Mieter substantiiert im Prozess vortragen und – da die Gegenseite diese regelmäßig gem. § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen wirksam bestreiten wird – auch zur Überzeugung des Tatgerichts beweisen (AG Dortmund, Urt. v. 2.6.2020 – 425 C 3346/19, ZMR 2020, 759). Der erforderliche Umfang der Ersatzraumsuche richtet sich nach den Gegebenheiten des Wohnungsmarkts und nach den individuellen Verhältnissen des Mieters (LG Berlin, Urt. v. 9.5.2018 – 64 S 176/17, WuM 584). Der Ersatzwohnraum muss hinsichtlich Art, Größe, Ausstattung und Lage der bisherigen Wohnung entsprechen, wobei gewisse Einschnitte dem Mieter zuzumuten sind (BGH, Urt. v. 11.12.2019 – VIII ZR 144/19, NJW 2020, 1215). Die Suche muss sich grds. auf das gesamte Gemeindegebiet erstrecken und nur bei Mietern mit einem höheren Lebensalter ist anerkannt, dass der aufgrund seiner Verwurzelung in seinem Stadtviertel ein Recht auf Ersatzwohnraum in ebendiesem hat (Schmidt-Futterer/Hartmann, a.a.O., § 574 BGB Rn 34 m.w.N.). Den üblichen Neuvermietungspreis muss der Mieter zudem akzeptieren.
Praxistipp:
1. Nach einer neuen Entscheidung des BGH v. 8.2.2022 (VIII ZR 182/21, NJW-RR 2022, 518) muss sich der Mieter fortwährend, ernsthaft und nachhaltig um Ersatzwohnraum bemühen, um seiner Obliegenheit hinreichend nachzukommen. Der sich an diese Linie des BGH haltende Mieter wird dadurch faktisch gezwungen, nicht nur vorsorglich Ausschau nach einer Ersatzwohnung zu halten, sondern im Erfolgsfall auch trotz laufender Rechtsmittelinstanz tatsächlich umziehen zu müssen. Inwieweit dem Mieter, der bereits in der Rechtsmittelinstanz umgezogen ist und dessen Räumungsklage letztendlich rechtskräftig abgewiesen wurde, durch einen möglichen hieraus folgenden Schadensersatzanspruch geholfen wird, ist zweifelhaft.
2. Von einem Teil der Rechtsprechung wird auf die Ersatzraumsuche verzichtet, wenn eine allgemeine Wohnungsmangellage besteht und der Mieter in schlechten finanziellen Verhältnissen lebt, da in diesem Fall fingiert wird, dass eine konkrete Suche erfolglos wäre. Hier soll es ausreichen, wenn sich der Mieter mit der Wohnungsbehörde in Verbindung setzt (Schmidt-Futterer/Hartmann, a.a.O., § 574 BGB Rn 38 m.w.N.). Diese Auffassung ist abzulehnen, weil es zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher ist, dass kein Ersatzwohnraum gefunden werden kann, sodass es aus Vermietersicht unbillig ist, wenn der Mieter keinerlei Anstrengungen zum Finden von Ersatzwohnraum vornehmen muss (LG Karlsruhe, Urt. v. 9.2.1990 – 9 S 306/89, DWW 1990, 238; a.A. Schmidt-Futterer/Hartmann, a.a.O., § 574 BGB Rn 38).
b) Hohes Alter, Krankheit oder Behinderung
Hohes Alter des Mieters führt isoliert betrachtet noch zu keiner Härte (BGH, Urt. v. 22.5.2019 – VIII ZR 180/18, NJW 2019, 2765). In aller Regel stellt sich das Problem nicht in dieser isolierten Form, weil noch andere Umstände wie Krankheit, Gebrechen oder Pflegebedürftigkeit hinzukommen (Staudinger/Rolfs, a.a.O., § 574 BGB Rn 37 m.w.N.). Bei Erkrankungen sind sowohl physische als auch psychische Ursachen erfasst (Schindler, WuM 2018, 255). Es ist jedoch anerkannt, dass eine schwere Krankheit nicht in jedem Fall eine Fortsetzung des Mietverhältnisses rechtfertigt. Die Interessen des Vermieters an der baldigen Erlangung der Wohnung sind jeweils angemessen zu würdigen, sodass z.B. den Interessen einer vierköpfigen Familie der Vorrang vor den ...