Hohes Alter des Mieters führt isoliert betrachtet noch zu keiner Härte (BGH, Urt. v. 22.5.2019 – VIII ZR 180/18, NJW 2019, 2765). In aller Regel stellt sich das Problem nicht in dieser isolierten Form, weil noch andere Umstände wie Krankheit, Gebrechen oder Pflegebedürftigkeit hinzukommen (Staudinger/Rolfs, a.a.O., § 574 BGB Rn 37 m.w.N.). Bei Erkrankungen sind sowohl physische als auch psychische Ursachen erfasst (Schindler, WuM 2018, 255). Es ist jedoch anerkannt, dass eine schwere Krankheit nicht in jedem Fall eine Fortsetzung des Mietverhältnisses rechtfertigt. Die Interessen des Vermieters an der baldigen Erlangung der Wohnung sind jeweils angemessen zu würdigen, sodass z.B. den Interessen einer vierköpfigen Familie der Vorrang vor den Interessen eines erheblichen erkrankten Mieters eingeräumt werden kann, wenn dessen Umzugsbelastung durch eine ärztliche Behandlung vermindert werden kann (BVerfG, Beschl. v. 12.2.1993 – 2 BvR 2077/92, NJW-RR 1993, 463). Aufgrund der Entscheidung des BGH v. 22.5.2019 (VIII ZR 180/18, NJW 2019, 2765) ist in der Praxis bei Vorliegen eines ausreichend substantiierten Vortrags zu Krankheiten des Mieters, die durch ärztliche Atteste untermauert werden, i.d.R. zwingend ein schriftliches Sachverständigengutachten einzuholen, um eine Entscheidungsreife zu erhalten. Der BGH hat in der genannten Entscheidung in Leitsatz Nr. 9 folgendes ausgeführt:
Zitat
„Macht ein Mieter unter Vorlage eines ärztlichen Attests geltend, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten, ist im Fall des Bestreitens dieses Vortrags regelmäßig die – bei Fehlen eines entsprechenden Beweisantritts von Amts wegen vorzunehmende – Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Art, dem Umfang und den konkreten Auswirkungen der beschriebenen Erkrankung auf die Lebensführung des betroffenen Mieters im Allgemeinen und im Fall des Verlusts der vertrauten Umgebung erforderlich (Bestätigung und Fortentwicklung von Senat, NJW 2017, 1474 Rn 29).”
Seit dieser Entscheidung ist es dem Tatgericht faktisch unmöglich gemacht, ohne Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens eine Entscheidung über die Räumungsklage zu treffen. Das ist durchaus problematisch, weil damit für diesen Bereich im Ergebnis ein von Amts wegen einzuholendes Sachverständigengutachten statuiert wird, was gegen den u.a. in § 144 ZPO zum Ausdruck kommenden zivilrechtlichen Beibringungsgrundsatz verstößt.
Praxistipp:
Bei Eigenbedarfskündigungen wird in aller Regel bereits für das Vorliegen der Vermieterinteressen eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt, i.d.R. durch Vernehmung von mind. zwei bis drei Zeugen und einer informatorischen Anhörung der Mietparteien. Bis zum Abschluss dieser ersten Prozessphase sind auch bei einem straff terminierenden Tatrichter regelmäßig ca. ein Jahr ab Klageeingang zu rechnen. Durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens, das in aller Regel eine mündliche Anhörung des betreffenden Sachverständigen nach sich zieht und ggf. Anhörung von Parteisachverständigen als „Gegengutachter”, kann problemlos ein Zeitraum von ca. 15 Monaten hinzukommen, sodass ein erstinstanzliches Räumungsurteil erst nach Ablauf von ca. zweieinhalb Jahren nach Eingang der Klage ergehen kann. Das ist bei der anwaltlichen Beratung der Vermieterseite dringend zu beachten.