§ 574 BGB stellt die Grundnorm des Härtefallwiderspruchs dar, § 574a BGB regelt sodann die Voraussetzungen für die Fortsetzung des Mietverhältnisses bei einem begründeten Härtefallwiderspruch, § 574b BGB regelt die einzuhaltende Form und Frist beim Mieterwiderspruch und § 574c BGB beinhaltet die Frage, wann ein Mietverhältnis, das durch Urteil auf bestimmte Zeit fortgesetzt wurde, nach Ablauf der Frist nochmals verlängert werden kann. Die §§ 574–574c BGB gehören als Sozialklausel zum Kern des sozialen Mietrechts im BGB (BT-Drucks 14/4553, 68). Bedeutung hat die Sozialklausel v.a. bei Eigenbedarfskündigungen, insb. seitdem durch den BGH die Anforderungen an den Eigennutzungswunsch massiv reduziert wurden, insofern vernünftige und nachvollziehbare Vermietergründe ausreichend sind (BVerfG, Urt. v. 14.2.1989 – 1 BvR 308/88, NJW 1989, 970; BGH, Beschl. v. 5.10.2005 – VIII ZR 127/05, NJW 2005, 3782).
1. Bedeutung und Anwendungsbereich von § 574 BGB
Während bei sämtlichen ordentlichen Kündigungsgründen des Vermieters im Wohnraummietrecht bei § 573 BGB nur das Interesse des Vermieters an der Vertragsbeendigung berücksichtigt wird (BGH, Rechtsentscheid in Mietsachen v. 20.1.1988 – VIII ARZ 4/87, NJW 1988, 904) stellt § 574 BGB sicher, dass ggf. vorliegende, besondere Mieterinteressen am Fortbestand des Mietverhältnisses i.R.d. Härtefallwiderspruchs zur Geltung kommen. § 574 BGB gilt bei allen Wohnraummietverhältnissen mit Ausnahme von solchen nach Maßgabe von § 549 Abs. 2 Nr. 1–3 BGB (Staudinger/Rolfs, Neubearbeitung 2021, Stand 14.12.2022, § 574 BGB Rn 1). Nach § 574 Abs. 1 S. 2 BGB ist die Vorschrift nicht anwendbar, wenn ein Grund vorliegt, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, weil dann der Mieter nicht schutzbedürftig ist (Schmidt-Futterer/Hartmann, 15. Aufl. 2021, § 574 BGB Rn 10). Ein Härtefallwiderspruch entsteht auch nicht nachträglich, wenn im Rahmen einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Zahlungsverzugskündigung die Mietrückstände innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ausgeglichen werden (BGH, Urt. v. 1.7.2020 – VIII ZR 323/18, NJW-RR 2020, 956).
2. Grundsätzliche Voraussetzungen von § 574 BGB
§ 574 BGB findet nur bei ordentlichen Kündigungen gem. §§ 573, 573c BGB und außerordentlichen Kündigungen mit gesetzlicher Frist nach § 575a BGB Anwendung, er gilt zeitlich auch bei Beendigung zwischen Vertragsschluss und Mietbeginn. Eine analoge Anwendung auf eine Anfechtung des Mietvertrags ist nicht möglich (Staudinger/Rolfs, a.a.O., § 574 BGB Rn 16).
a) Besondere Härtegründe des Mieters
Die besonderen Härtegründe gehen über das generell bestehende Interesse des Mieters am Erhalt der Wohnung hinaus (sog. Allgemeines Bestandsinteresse). Sie werden nur auf aktiven Widerspruch des Mieters berücksichtigt (BGH, Urt. v. 29.3.2017 – VIII ZR 45/16, NJW 2017, 2018). Alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art fallen darunter, ebenso politische, kirchliche, künstlerische oder gesellschaftliche Interessen, wobei der Eintritt nicht mit absoluter Sicherheit feststehen muss, sondern mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (Schmidt-Futterer/Hartmann, a.a.O., § 574 BGB Rn 20 m.w.N.). In persönlicher Hinsicht werden Nachteile des Mieters, seiner Familie oder eines anderen Angehörigen seines Haushalts berücksichtigt. Haben Mitmieter den Mietvertrag abgeschlossen, genügt eine Härte eines einzelnen Mieters, wobei jeder Mieter sodann Widerspruch erheben kann, das Mietverhältnis wird in jedem Fall mit allen Mitmietern fortgesetzt (LG Bochum, Urt. v. 16.2.2007 – 10 S 68/06, ZMR 2007, 452; Staudinger/Rolfs, a.a.O., § 574 BGB Rn 16). Da das Gesetz den Kreis der Familie nicht weiter begrenzt, können alle Familienangehörigen subsumiert werden, die in derselben Wohnung wie der Mieter wohnen, wobei ein bestimmter Verwandtschaftsgrad nicht erforderlich ist (Staudinger/Rolfs, a.a.O., § 574 BGB Rn 25). Zu den „anderen Angehörigen” zählen Personen, die mit dem Mieter eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden, was insb. bei eheähnlichen Gemeinschaften und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften der Fall ist (Schmidt-Futterer/Hartmann, a.a.O., § 574 BGB Rn 23).
b) Zu berücksichtigende Vermieterinteressen
Gegen die Härtegründe des Mieters sind die im jeweiligen Kündigungsschreiben angegebenen Vermieterinteressen nach § 574 Abs. 3 BGB abzuwägen. Maßgebliche Vermieterinteressen sind alle diejenigen Gründe, die für eine Beendigung des Mietverhältnisses sprechen und von der Rechtsordnung gebilligt werden, wobei die Lebensplanung des Vermieters grds. zu berücksichtigen ist (BGH, Urt. v. 11.12.2019 – VIII ZR 144/19, NJW 2020, 1215).
c) Interessenabwägung und konkreter Zeitpunkt für das Vorliegen des Härtegrundes
Die Nachteile für den Mieter müssen „nicht zu rechtfertigen” sein, d.h. insb. deutlich über die kündigungstypischen Belastungen wie Mühe und Kosten der Ersatzwohnungssuche, den Umzug, die Her- und Einrichtung der neuen Wohnung hinausgehen, da ein in durchschnittlichen Verhältnissen lebender Mieter diese hinnehmen muss (BGH, Urt. v. 22.5.2019 – VIII ZR 167/17, WuM 2019, 454). Diese besonderen Härtegründe sind in einer umfassenden Einzelfallwürdigung des Tatrichters gegen die berechtigten Interessen des Vermie...